Montag, 7. Mai 2007

Erdöl: Ist das Fördermaximum bereits erreicht?

In den letzten Wochen und Monaten starrt alle Welt wie hypnotisiert auf den IPCC-Klimabericht und die drohende Erderwärmung. Die Deutschen wollen plötzlich ein Tempolimit auf der Autobahn akzeptieren, die Bundeskanzlerin hat Angst vor „Flüchtlingsströmen und kriegerischen Auseinandersetzungen“, Jacques Chirac fordert eine Klima-UNO, der Mann im Weißen Haus will den Tiger im Tank mit Äthanol vermischen, und nach Thailand fliegen soll man in Zukunft auch nicht mehr. (Meine Kinder werden wohl als Schiffsjungen auf einem der geplanten neuen Frachtsegler anheuern müssen, wenn sie die Welt kennenlernen möchten...) Unterdessen bahnen sich in aller Stille tektonische Umwälzungen einer ganz anderen Art an, deren Auswirkungen das Thema Klimawandel schon in wenigen Jahren in die zweite Reihe verbannen könnten: Wenn wir Pech haben, befindet sich die Welt-Ölförderung den aktuellsten Daten zufolge bereits auf ihrem von vielen Seiten erst für 2010-2020 vorhergesagten historischen Gipfelpunkt. Und wenn wir noch mehr Pech haben, bedeutet dies nichts anderes, als dass wir endgültig an die vor dreißig Jahren prophezeiten „Grenzen des Wachstums“ stoßen, und zwar wesentlich früher und wesentlich unvorbereiteter, als uns lieb sein kann.

Geologen contra Ölindustrie

Um Existenz und Zeitpunkt des globalen Ölfördermaximums, auf Neudeutsch auch „Peak-Oil“ genannt, streiten sich seit über zehn Jahren offizielle Vertreter der Ölindustrie und Analysten wie der „Ölpapst“ Daniel Yergin auf der einen Seite mit unabhängigen Geologen wie Colin Campbell und Kenneth Deffeyes, den Autoren Richard Heinberg und James Howard Kunstler oder dem Öl-Investmentbanker Matthew Simmons auf der anderen Seite. Während Yergins Beratungsunternehmen CERA und dessen Chefgeologe Peter Jackson die Parole „Don't worry, be happy!“ ausgeben und auf steigende Reservenzahlen sowie die rasche Verfügbarkeit von unkonventionellen Vorkommen wie Tiefseeöl oder kanadischen Ölsanden bauen, sieht die Gegenseite die geologischen und technischen Gegebenheiten pessimistischer. Dabei berufen sich die „Peak Oilers“ auf die Arbeiten des US-Geophysikers M. King Hubbert, der in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Ölfördermaximum für die kontinentalen USA korrekt auf 1971 datierte (und sich seinerzeit nicht weniger heftigen Schmähungen als heute Campbell oder Deffeyes ausgesetzt sah).

Das Hubberts Ansatz zugrunde liegende Prinzip ist einfach zu verstehen: Im Gegensatz zum Konzept der „statischen Reichweite“ (die bekannten Erdölreserven würden bei gleichbleibender Verbrauchshöhe noch gut 40 Jahre reichen, siehe z. B. BP-Weltenergiebericht), das eine linear gleichbleibende oder stetig ansteigende Erdölförderung bis zu ihrem plötzlichen Ende suggeriert, folgt die Produktion bei großen Feldern oder ganzen Förderregionen über die Zeit einer Art gaußschen Normalverteilung mit ihrer typischen Glockenkurve. Die Fördermenge steigt zunächst an, erreicht dann ihr Maximum (den „Peak“) und fällt schließlich langsam wieder ab, weil in der Regel das einfach zu erschließende Öl in den großen Feldern zuerst gefunden wird, die verbleibende zweite Hälfte in den kleineren Restfeldern einen höheren technischen und logistischen Förderaufwand erfordert und die Förderrate aufgrund prinzipieller geologischer Beschränkungen schließlich auch mit den größten technischen Anstrengungen nicht mehr vor dem Absinken bewahrt werden kann. Umstritten ist, ob dies auch für die gesamte Weltförderung gilt.

Yergin und CERA behaupten, statt eines Maximums wäre ein „wellenförmiges Förderplateau auf hohem Niveau bis 2052“ zu erwarten; die Peak-Oil-Aktivisten kontern mit geduldigen Aufaddierungen aller bekannten Fundstätten, dem Vergleich von Aufschlussbohrungen mit Neufundzahlen sowie ausgeklügelten statistischen Methoden zur Abschätzung des jeweiligen Förderpotenzials (näheres dazu auf deutsch siehe hier). Die Ergebnisse sind immer gleich niederschmetternd: Irgendwann bis etwa 2020 werden die Neuerschließungen die sinkenden Förderraten der älteren Quellen nicht mehr wettmachen können, und dann kann keine Macht der Welt mehr unseren wachsenden Energiehunger durch eine Erhöhung der Erdölförderung befriedigen.

Dass über das Thema überhaupt diskutiert werden muss, liegt an der restriktiven Informationspolitik der Ölscheichs: Ausgerechnet der Schlüsselproduzent Saudi-Arabien, das Land mit den höchsten gemeldeten Reserven, behandelt Produktions- und Reservendaten als Staatsgeheimnis, und spätestens seit Matt Simmons' Bestseller von 2005, „Twilight in The Desert“, in dem der Brancheninsider ein baldiges Absinken der saudischen Fördermenge vorhersagte, nimmt die Beobachtung der nahöstlichen Ölproduktion den Stellenwert ein, den früher die Kreml-Astrologie hatte – kommt noch was, oder kommt nichts mehr? In jedem Fall entsprechen die offiziellen Reservenzahlen vermutlich keines einzigen OPEC-Landes der Realität, weil die Organisation Mitte der 80er Jahre beschloss, ihren Mitgliedern Förderquoten auf der Grundlage von Reservenmengen zuzuweisen, weswegen es plötzlich im Laufe weniger Jahre bei allen zu einem mysteriösen Hochschnellen der gemeldeten Zahlen kam, ohne dass entsprechende Explorationsaktivitäten zu verzeichnen gewesen wären. Diese Zahlen aber sind es, die etwa der BP-Weltenergiebericht aufführt, und mit diesen Zahlen hält auch Saudi-Arabien die Behauptung aufrecht, seine Ölproduktion problemlos innerhalb kürzester Zeit von derzeit knapp neun auf zwölf oder noch mehr Megabarrel pro Tag steigern zu können. Leider lässt es seinen Worten keine Taten folgen, obwohl dies bei einem Ölpreis von derzeit fast 70 US-Dollar pro Barrel (Anfang April 2007) dringend nötig wäre.

Die aktuellen Daten

Seit kurzem liegen nun die von der Energy Information Administration, einer Unterabteilung des US-Energieministeriums, veröffentlichten Erdöl-Produktionszahlen (xls-Tabelle, darin Links zu weiteren Tabellen) bis einschließlich 2006 vor. Danach haben viele wichtige Ölförderregionen und -länder in den letzten Jahren offenbar ihr Produktionsmaximum erreicht. Für Venezuela war dies etwa 1999 der Fall, für die Nordsee 2001, für Mexiko und Iran 2004 (was ein etwas anderes Licht auf das iranische Atomprogramm wirft!) und für die OPEC insgesamt im September 2005. Die höchste weltweit erzielte Fördermenge für Rohöl plus Erdgaskondensat waren 74,15 Megabarrel pro Tag im Mai 2005. Dies entspricht in etwa den Vorhersagen von Colin Campbell, dessen aktuellste Modelle das Fördermaximum für konventionelles Öl im Jahr 2005 und für flüssige Kohlenwasserstoffe insgesamt im Jahr 2010 ansiedeln.

Auch die neuesten Entwicklungen bei Saudi-Arabien geben eher wenig Anlass zu Hoffnung: Die dortige Produktion ging 2006 um durchschnittlich 8 Prozent zurück, obwohl sich die Anzahl der im Land eingesetzten Bohrtürme seit 2004 verdreifacht hat. Entweder die Saudis horten also irgendwo Öl, um damit zu einem günstigen Zeitpunkt den Markt zu überschwemmen, oder sie produzieren tatsächlich hart an ihrer Kapazitätsgrenze und können trotz vermehrter Explorationsbohrungen den im April 2006 gemeldeten Rückgang ihrer älteren Felder nicht wie behauptet durch Neuförderung ersetzen. Der Rückgang ist umso erstaunlicher, als die Rohölpreise trotz des leichten Absackens von den im Juli 2006 erreichten Spitzenwerten immer noch weit über den Werten von 2005 liegen, sodass Saudi-Arabien eigentlich keinen Grund hätte, seine angeblich vorhandenen Zusatzkapazitäten nicht auch zu nutzen, um damit den Preis – wie früher oftmals geschehen – auf einem weltwirtschaftlich verträglichen Niveau zu halten.

Mit Vorsicht zu genießen sind auch die „freiwilligen Produktionsbeschränkungen“, die von der OPEC im Herbst 2006 verkündet wurden, angeblich aus Gründen der „Preisstützung“: Im Falle der Saudis ist für diesen Zeitraum bei den gemeldeten Förderzahlen kein auffällig stärkerer Rückgang zu erkennen, und laut aktuellen Zahlen der in Paris ansässigen International Energy Agency (IEA) ist die gesamte OPEC-Förderung weiter zurückgegangen, obwohl der extrem kalte Frühling in den USA zu erhöhtem Bedarf geführt hat. Die IEA hat sogar eine Warnmeldung ausgegeben, weil momentan in den OECD-Verbraucherländern die Lagervorräte abnehmen, die normalerweise in den nach Ende des Winters rasch wieder aufgefüllt werden, um dem erhöhten Treibstoffverbrauch im Sommer vorzubeugen. Kommentatoren befürchten inzwischen, dass der Ölpreis in ein paar Monaten noch weiter in die Höhe schnellt.

Warum sieht die OPEC überhaupt die Notwendigkeit, den Barrel-Preis über 50 Dollar zu halten, wenn vor nur drei Jahren, als der Barrel-Preis bei 35 Dollar lag, alles getan wurde, um ihn in das „Preisband von 22 bis 28 Dollar“ zurückzuholen? Ein unlängst erschienener Bericht von McKinsey Quarterly, dem Informationsdienst des Consulting-Riesen, beleuchtet die wahrscheinlichen Hintergründe der geänderten Preispolitik: Da in allen Golfstaaten entgegen den offiziellen Verlautbarungen eben doch ein Ende der Erdölvorräte – und damit des mühelosen Geldscheffelns – abzusehen ist, die gesamte Region aber von hoher Arbeitslosigkeit, aufgeblähten Staatsbürokratien und mangelnder wirtschaftlicher Diversifizierung geplagt wird, ist es in strategischer Hinsicht jetzt sinnvoller, den Ölpreis kurz- und mittelfristig hochzuhalten, um die Gewinne zu maximieren und die damit erwirtschafteten Mittel in den langfristigen Umbau der volkswirtschaftlichen Basis weg von fossilen Energieträgern zu investieren. Damit haben Saudi-Arabien und die anderen Golfanrainer mehr oder weniger ihr seit den Tagen Ronald Reagans geltendes Gentleman's Agreement mit den USA gekündigt und das Zeitalter des billigen Öls beendet.

Fernab vom Nahen Osten beweist Cantarell, das von Mexiko betriebene größte marine Ölfeld der Welt, dass verbesserte Fördermethoden nicht nur zu einer Erhöhung der Fördermenge, sondern auch zu einer schnelleren Erschöpfung der Felder führen, zeigte es doch statt des für 2006 vorhergesagten Förderrückgangs von sechs Prozent eine tatsächliche Abnahme um satte 25 Prozent. Wegen des zurückgehenden Eigendrucks wird dort seit einigen Jahren (mit deutscher Technik) Stickstoff eingepresst, was kurzfristig eine Verdopplung der Fördermenge ermöglichte, jetzt aber offenbar ein umso stärkeres Absinken zur Folge hat. Auch die Fördermenge in der Nordsee zeigt ein schnelleres Absinken als erwartet (2006 um 9 Prozent), und das zweitgrößte Ölfeld der Welt, Burgan in Kuwait, produziert mittlerweile 15 Prozent unter den langfristig erwarteten Zahlen, sodass man insgesamt befürchten muss, dass die älteren „Elefantenfelder“ in den nächsten Jahren schneller ihrer Erschöpfung entgegen eilen werden als von optimistischen Branchenprognosen erwartet.

Für die Welt sind dies schlechte Nachrichten: Falls in den nächsten Jahren kein dramatischer Umschwung bei den Produktionszahlen mehr auftritt und den Trend wieder umkehrt (und nichts deutet darauf hin als das Wunschdenken von Ölmanagern und Milchmädchen-Ökonomen), dann haben wir das globale Fördermaximum für Erdöl bereits überschritten und müssen uns für die nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht auf ein sofortiges Versiegen, aber doch auf eine immer stärkere Verknappung dieses „Schmiermittels der Weltkonjunktur“ einstellen.

Deutschland im Tiefschlaf

In der englischsprachigen Welt gibt es inzwischen eine vollkommen neue Umweltbewegung, die sich neben den „klassischen“ Themen wie Klimawandel, zunehmender Bodenerosion oder dem Verschwinden der Regenwälder zunehmend auf die erwarteten Auswirkungen des Ölfördermaximums konzentriert. Autoren wie Kunstler oder Heinberg reden hartnäckig gegen das öffentliche Desinteresse an, und gerade in den USA mit ihrer Infrastruktur aus endlos zersiedelten Vorstädten, Gewerbegebieten und Shopping-Malls, deren Weiterbestehen ohne billiges Öl gar nicht vorstellbar ist, finden sie damit inzwischen erstaunlich viel Gehör. Ihre Bücher sind Bestseller, und eine Vielzahl von Blogs und Newsfeeds wie Energy Bulletin, Casaubon's Book, The Oil Drum, Peakoil News & Message Boards, Global Public Media, Anthropik, Resource Insights oder Life after The Oil Crash beschäftigt sich mit den Folgen der kommenden Ölknappheit. Aber auch in Großbritannien ist der Widerhall relativ groß: Im Rahmen des „Transition Town Movement“ proben einzelne Städte bereits den Übergang in eine postfossile, „relokalisierte“ Wirtschaft, und mit der „Soil Association“ hat die erste europäische Biolandwirtschaftsorganisation das Ölfördermaximum zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.

In Deutschland bleiben Öffentlichkeit und Politik derweil auf Tauchstation: Obwohl auch das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover das Fördermaximum „zwischen 2015 und 2020“ ansiedelt, einzelne Bücher von Heinberg und Campell übersetzt wurden, und vor kurzem Bestsellerautor Andreas Eschbach mit „Ausgebrannt“ (Rezensionen hier oder hier) eine Thriller-Version des Themas auf den Markt gebracht hat, träumt man hierzulande immer noch vom zukünftigen Wasserstoff-Utopia, schwört auf die sowjetische Theorie der „abiotischen Ölentstehung“ oder hofft auf die freie Fahrt für freie Bürger mit Biodiesel oder Flüssigkohle. Noch schlimmer die Energiewirtschaft: Wieviel warmes Wasser ist noch im Hahn? fragt uns etwa der Stromkonzern E.ON und verspricht uns im selben Atemzug das Perpetuum Mobile: „Energie für immer. Und jeden Tag“ – wahrscheinlich glauben die Verantwortlichen selbst daran. Ein kürzlich in der Financial Times Deutschland erschienener Artikel ist ein Paradebeispiel für die verbreitete Ahnungslosigkeit: Der Autor reduziert die komplexe Frage des Fördermaximums auf ein baldiges „Versiegen“ (Unfug), er glaubt, Leute wie Campbell und Simmons würden nur „Panikmache“ betreiben, weil der Ölpreis letzten Sommer so hoch war (heilige Einfalt!), dass Hubbert mit dem US-Maximum recht behielt, erwähnt er zur Sicherheit gar nicht, und mit den geologischen Grundlagen hat er erst recht nichts am Hut. Das mit der statischen Reichweite von 40 Jahren muss ja langen.

Dabei lautet die entscheidende Frage eben nicht, wie viele Ölreserven noch da sind, und sei es im grönländischen Eis, im Tiefseeboden, in Ölsand- und Ölschiefervorkommen, in Form von verflüssigten Kohle- und Erdgasvorräten oder als ständig in der Erdkruste neu entstehende „abiotische“ Kohlenwasserstoffe. Wesentlich ist vielmehr, wie schnell und zu welchem Preis man diese Reserven bzw. Neubildungen ausbeuten kann, um damit den Rückgang der konventionellen Förderung auszugleichen und dem steigenden Bedarf in Ländern wie Indien oder China zu begegnen. Aus den kanadischen Ölsanden wird derzeit beispielsweise circa ein Megabarrel synthetisches Öl pro Tag erzeugt, bis 2020 erwarten Optimisten einen Anstieg auf um die drei Megabarrel pro Tag (die Produktion ist unter anderem durch die verfügbare Wassermenge begrenzt). Zum Vergleich: Die oben erwähnten Elefantenfelder Burgan und Cantarell produzierten auf ihrem Gipfelpunkt jeweils um die zwei Megabarrel pro Tag; wenn ihr Förderrückgang mit dem bisherigen Tempo weitergeht, werden sie 2020 nur noch so wenig Öl liefern, dass der Anstieg bei den Ölsanden nicht einmal diesen Verlust ausgleichen kann. Da dies in Bezug auf die Gesamtförderung für alle anderen „exotischen“ Arten der Ölgewinnung wegen des enormen Kapitalaufwands, der langen Vorlaufzeiten für Investitionen und der extremen technischen Anforderungen ebenso gilt, sollte man von dieser Seite keine Wunder erwarten. Wenn die Welt-Förderkurve langsam auf ihre absteigende Seite wechselt, werden die Ölingenieure und Geologen alles versuchen, auch noch den letzten Tropfen aus den vorhandenen Reservoiren zu pressen und so viele neue Quellen wie möglich zu erschließen, aber letztendlich wird das nur zu einer Verzögerung des Rückgangs führen, nicht zu einem erneuten Anstieg.

Konvergierende Dilemmata

Die Gefahr bei den möglichen Reaktionen auf eine weltweit zurückgehende Ölförderung – und damit schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Angstthema Erderwärmung – liegt in der potenziell klimaschädlichen Wirkung synthetischer Kohlenwasserstoffe, die jene des konventionellen Öls oftmals weit übertrifft. So sind etwa für die Umwandlung von Ölsanden in „Ölersatz“ enorme Mengen an Wasser und Hitze erforderlich, die bei den Vorkommen in der kanadischen Provinz Alberta aus den örtlichen Trinkwasservorräten und Erdgasquellen gewonnen werden. Die vier Barrel Abwässer pro Barrel gewonnenem Treibstoff verseuchen die borealen Ökosysteme, aber noch weitaus schlimmer sind die 90 bis 160 Kilogramm Kohlendioxid, die beim Produktionsprozess pro Tonne anfallen – noch zusätzlich zu den 400 Kilogramm Treibhausgas, die bei der Verbrennung des Treibstoffs ohnehin entstehen. Bei der Kohleverflüssigung ist es noch schlimmer: Pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs sind zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich, und die zweite Tonne endet letzlich ohne weiteren Nutzen als „Extra-Kohlendioxid“. Je mehr Öl wir aus qualitativ minderwertigen Ausgangsstoffen oder durch synthetische Prozesse erzeugen, desto mehr zusätzliches Treibhausgas fällt dabei an.

Die entsprechenden technischen Großprojekte sind nicht etwa Zukunftsmusik, sondern befinden sich bereits in der Planungs- oder sogar Umsetzungsphase. Der südafrikanische Sasol-Konzern wird beispielsweise 2007 zwei Pilotanlagen für die Kohleverflüssigung in China errichten, außerdem gibt es entsprechende Planungen für den US-Bundesstaat Montana und für Indien. In Venezuela und Kanada geht man derweil mit Hochdruck daran, die Ausbeutung der Schweröl- und Ölsandvorkommen zu forcieren. Kanada hat wegen der Ölsandgewinnung nicht nur seine Kyoto-Reduzierungsziele nicht erreicht, die nationale Kohlendioxidemissionen sind sogar seit 1990 um 27 % gestiegen. Nicht zu vergessen die Stromerzeugung: In den USA gibt es bereits Planungen, die Kraftwerke, die dort hauptsächlich mit Erdgas betrieben werden, wegen der hohen Preise (der Erdgas-Hauptlieferant Kanada hat Lieferprobleme wegen des steigenden Eigenbedarfs für die Ölsandgewinnung) wieder auf Kohle umzurüsten.

Das auch „Bio“-Treibstoffe das Problem letztendlich nicht lösen können, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Zunächst einmal muss auch für die Herstellung von beispielsweise einem Liter Biodiesel über ein halber Liter Treibstoff zusätzlich verbrannt werden und erzeugt weiterhin Kohlendioxid, das nicht vorher in der Biomasse gespeichert wurde. Außerdem ließen sich ohnehin nur wenige Prozent des Weltverbrauchs an flüssigen Kohlenwasserstoffen durch Energiepflanzen ersetzen, weil der Wirkungsgrad der Umsetzung von Sonnenenergie über Pflanzenzucker in synthetische Kohlenwasserstoffe (der Erntefaktor“) wegen der geringen Energiedichte des Ausgangsstoffs außerhalb der Tropen extrem gering ist und auf der ohnehin überbevölkerten Erde bei weitem nicht genügend Anbauflächen vorhanden sind, auf denen man Energiepflanzen ziehen könnte, ohne die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Auch auf hier sind die ersten Anzeichen einer Krise nicht zu übersehen: Im Februar kam es Mexiko zu den sogenannten „Tortilla-Unruhen“, die von vielen deutschen Medien mit der üblichen Überheblichkeit unter der Rubrik Sombrero-Folklore abgehandelt wurden, dabei handelte es sich in Wirklich um eine Reaktion auf die zunehmende Produktion von Äthanol aus Mais. Seit der Einrichtung der Freihandelszone NAFTA ist Mexiko abhängig von US-amerikanischen Maisimporten (die hochsubventionierten US-Farmer produzieren billiger als mexikanische Kleinbauern), derzeit gehen aber bereits ein Fünftel der Maisernte in den Staaten in die Äthanolproduktion, sodass bei verknapptem Angebot die Preise steigen und die Ärmsten der Armen sich kein Maismehl mehr leisten können. (Näheres dazu siehe auch hier.)

Fünf nach zwölf?

In einem 2005 für das US-Energieministerium erstellten Bericht über die Folgen des Ölfördermaximums (dem bekannten „Hirsch-Report“) heißt es: „Wenn mit einem Crash-Programm zur Bekämpfung des Ölfördermaximums gewartet wird, bis das Maximum erreicht ist, würde dies bedeuten, dass die Welt zwei Jahrzehnte lang unter einen erheblichen Mangel an Flüssigtreibstoffen zu leiden hätte. Wird das Crash-Programm 10 Jahre vor Erreichen des Maximums initiiert, wären immer noch zehn Jahre Treibstoffmangel zu erwarten. Beginnt man mit dem Crash-Programm 20 Jahre vor dem Maximum, scheint es möglich sein, Ausfälle der Flüssigtreibstoffversorgung für den Prognosezeitraum zu vermeiden. [...] Falls die Gegenmaßnahmen nicht ausreichend sind bzw. zu spät kommen, würde sich ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage durch massiven Nachfragewegfall (Verknappung) einstellen, mit anderen Worten, es käme zu erheblicher wirtschaftlicher Not.“

Da ein derartiges Crash-Programm in den derzeitigen Regierungen der Welt nicht einmal angedacht ist, müssen wir weiterhin hoffen, dass die aktuellen Daten zur Welt-Ölförderung nur kurzfristige Schwankungen wiedergeben, keine langfristigen Trends. Andernfalls sind zwanzig Jahre Knappheit an flüssigen Treibstoffen noch das kleinste der Übel, das uns erwartet.