Mittwoch, 12. Dezember 2007

Der Ölknick

Wie es aussieht, haben wir nochmal für einen Moment Ruhe. Nachdem der Rohölpreis vorletzte Woche von allerlei Mediengetöse begleitet seinen bisherigen Höchststand knapp unterhalb der 100-Dollar-Marke markiert hat, pendelt er mittlerweile um 94 Dollar herum, und die ersten lehnen sich schon wieder zurück. "31 deutsche Chefvolkswirte" prophezeien auf Börse Online einen Rückgang der Ölpreise für 2008, die Internationale Energieagentur senkt praktischerweise ihre Nachfrageprognose für das laufende und das nächste Jahr, die FAZ warnt vor dem "Platzen des Preisballons", und auf Spiegel Online behauptet der Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), dass 100 Dollar pro Fass Rohöl geradezu ein Segen für uns wären, weil dann endlich in unkonventionelle Ölquellen wie Ölschiefer oder -sand und alternative Technik investiert würde.

Realistisch betrachtet ist allerdings sowohl die Erwartung sinkender Preise wie auch die Hoffnung auf eine blitzblanke neue Welt alternativer Energien kaum mehr als ein schöner Traum. Trotz der beinahe verzweifelten Versuche, den stetigen Ölpreisanstieg der letzten Jahre auf Spekulantentum, eine neue Welle von "Rohstoff-Nationalismus" seitens despotischer Schurken wie Putin und Chávez, den schwachen Dollar oder die unzureichenden Investition der Ölfirmen in den Ausbau ihrer Infrastruktur zurückzuführen, können sich langsam auch die Mainstream-Medien nicht mehr der Einsicht verweigern, dass die Welt es mit einem grundsätzlichen Problem zu tun hat. Der Planet ist "leergepumpt", das Angebot deckt die Nachfrage nicht mehr, und der Beweis dafür ist leicht zu führen. Seit zweieinhalb Jahren stagniert die Weltförderung von Rohöl plus Erdgaskondensat (ein flüssiger Erdgasanteil mit ölähnlichen Eigenschaften) den relativ verlässlichen Zahlen des US-Energieministeriums zufolge im Bereich 84,5 bis 85 Millionen Barrel am Tag, während gleichzeitig die Weltwirtschaft nach IWF-Angaben jedes Jahr um die fünf Prozent gewachsen ist. Dadurch hat sich eine Versorgungslücke geöffnet, die sicher im gewissen Umfang durch eine effizientere Energienutzung in den alten Industrieländern aufgefangen wurde, aber für die rasant wachsenden, energieintensiven Volkswirtschaften Asiens ist dies so gut wie ausgeschlossen, und so verwundert es kaum, dass in China vor drei Wochen Dieselrationierungen eingeführt wurden, die prompt zu Unruhen an den Tankstellen führten. Die Folgen finden sich im kleinen Einmaleins der Marktwirtschaft: Zieht weltweit die Nachfrage an, während das Angebot gleich bleibt, steigt der Preis. Spekulierende Hedge-Fonds, Möchtegern-Geostrategen und inkompetente Manager verschärfen das Problem natürlich, verursacht haben sie es nicht.

Was aber, wenn nun die Förderung nicht nur stagniert, sondern auch noch absinkt? In den USA, in Mexiko, in der Nordsee und Dutzenden anderen Ölförderregionen ist dies längst, teilweise seit Jahren, der Fall. Momentan scheinen nur noch Russland, Brasilien und einige OPEC-Staaten ihre Produktion tatsächlich steigern zu können, während eine heftige Debatte darum entbrannt ist, ob Saudi-Arabien bei der Höhe seiner verfügbaren Reserven in der Vergangenheit geschummelt hat. Diese Frage aber ist von entscheidender Bedeutung, weil wir nicht wissen, ob die arabische Halbinsel wirklich noch genügend Förderpotenzial besitzt, um das Absinken derart vieler anderer Produzenten aufzuwiegen. Seit über fünf Jahrzehnten ist bekannt, dass die Ölförderung in Regionen statistisch signifikanter Größe - von politischen Faktoren abgesehen - einer Glockenkurve folgt, die der gaußschen Normalverteilung ähnelt und einen wohldefinierten Höhepunkt besitzt, den "Peak Oil". Zuerst werden die großen, einfach zu erschließenden Felder ausgebeutet, Vorräte und Expansionsmöglichkeiten erscheinen endlos, aber irgendwann werden nicht mehr genügend neue Funde gemacht, die Felder werden kleiner, sind schwerer zu finden und zu erschließen, und schließlich schlägt die Kurve um. Danach folgt der lange, steinige Weg nach unten - der Ölknick.

Als der US-amerikanische Geophysiker M. King Hubbert dieses Modell 1956 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte, wurde er wahlweise ausgelacht oder ignoriert. Als die USA fünfzehn Jahre später tatsächlich das von ihm berechnete Fördermaximum erreicht hatten, lachte niemand mehr, und Hubbert war ein gern gesehener Gast in Fernsehstudios, in denen er seine Vorhersage eines weltweiten Fördermaximums für den Zeitraum zwischen 1995 und 2000 publik machte. Gleichzeitig brachen die Ölkrisen der 1970er über die Industrienationen herein, Richard Nixon versprach den Amerikanern "Energie-Unabhängigkeit bis 1980", und Jimmy Carter schließlich ließ Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses montieren und gab den "Global 2000"-Bericht in Auftrag, auch für viele Deutsche seinerzeit die Initialzündung, sich mit Umweltfragen zu beschäftigen.

Doch als 1980 Ronald Reagan zum neuen US-Präsidenten gewählt wurde, machte sich der Prediger des Freien Marktes unverzüglich daran, das Ruder wieder herumzureißen. Die Solarzellen verschwanden, Carters nach dem zweiten Ölschock 1978 durch den Kongress gebrachtes "Synfuel"-Programm wurde gekippt, und es war schließlich Reagan (und nicht etwa die Familie Bush!), der die unheilvolle Allianz Washingtons mit dem Hause Saud einging. Die Amerikaner auf ihrem Kreuzzug gegen das Böse in Moskau unterstützen die islamischen Mudschaheddin in Afghanistan mit Waffen, die Saudis halfen dafür mit Geld in Nikaragua, Angola oder Äthiopien aus. Und dazu drehten die Scheichs den Ölhahn auf, bis der Preis wieder auf ein für die USA und die Weltwirtschaft komfortables Niveau gesunken war. Dieser Pakt hielt auch in den Clinton-Jahren, und zusammen mit den neu erschlossenen riesigen Lagerstätten in Alaska und der Nordsee bescherte er der Welt vermutlich das letzte Mal zweieinhalb Dekaden der sinnlosen Verschwendung kostbarer Kohlenwasserstoffe. Gier war gut.

Als dann auch noch Hubberts Prognose eines weltweiten Fördermaximums weder 1995 noch 2000 eintrat, schien der Fall erledigt - apokalyptische Schwarzmalerei, Pseudowissenschaft. Immer wieder geisterten zwischendurch beruhigende Meldungen durch die Medien, dass wir unsere Mobilitätsbedürfnisse in Zukunft ohnehin mit Wasserstoffautos und Magnetschwebebahnen befriedigen würden, aber auf die tatsächliche Verkehrsinfrastruktur hatte das keinerlei Auswirkungen, und außer grotesk überdimensionierten Flughafen-S-Bahnen und schicken Konzeptstudien ist letztendlich nichts davon geblieben. Einziger Motor der Weltwirtschaft war und ist weiterhin das Öl, das zwar immer effizienter eingesetzt wird, aber ein wirklicher Wechsel zu anderen Energiequellen ist auch in anderen Bereichen als dem Verkehr kaum über das Stadium der Sonntagsreden hinausgekommen. Hubbert hatte außerdem seine Prognose eines Umknickens der Förderkurve bis 2000 vor dem Iran-Ölschock gemacht, der einen massiven Rückgang der Förderung bedingte und mittelfristig zumindest in den europäischen Verbraucherländern ein starkes Bewusstsein für höhere Energieeffizienz nach sich zog und damit auch - relativ zur Entwicklung des BIP - einen Rückgang bzw. eine Stagnation des Verbrauchs. Dadurch dürfte sich das Einsetzen des Ölknicks um einige Jahre verzögert haben. Die Frage lautet - wie lange?

Manche Leute sagen, jetzt wäre es soweit. Am lautesten tönt dabei seit einigen Jahren die Stimme der Association for the Study of Peak Oil (ASPO), die sich um den irischen Geologen Colin Campbell formiert hat und inzwischen Ableger auf der ganzen Welt besitzt, seit kurzem sogar in China. Mit der deutschen Sektion der ASPO eng verbunden ist die Energy Watch Group (EWG), ein von dem grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell initiiertes "Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern", das vor kurzem eine unabhängige Studie über die Höhe der noch verbleibenden Ölreserven und die Entwicklung der Förderkurve bis 2030 veröffentlicht hat. Allein die Tatsache, dass das monumentale Werk nicht in Deutschland, sondern in London der Presse vorgestellt wurde, spricht Bände für den Bekanntheitsgrad des Problems hierzulande, dabei enthält der Inhalt wahren Sprengstoff: Das Maximum der weltweiten Ölförderung wäre demnach 2006 erreicht worden, und der Abfall der Förderrate in den nächsten Jahren würde weitaus steiler ausfallen als bis jetzt vermutet.

Aber das sind natürlich die üblichen Verdächtigen: Grüne, pensionierte Wissenschaftler, unabhängige Energieberater. Wer schon die Erderwärmung für eine offene Frage hält, wird diesen Mahnern und Warnern, die aufgrund der mangelnden Breitenwirkung des Themas zudem nicht auf die Ergebnisse von Tausenden wissenschaftlicher Studien verweisen können, keinen Glauben schenken. Umso gewichtiger sind dementsprechend die Worte, mit denen in den letzten Wochen mächtige Männer mit Maßanzügen und großen Dienstwagen an die Öffentlichkeit getreten sind, die scheinbar auf der anderen Seite der Barriere stehen und traditionell nicht gerade zu den Propheten der Ressourcenverknappung zählen.

Der Reigen begann mit Lord Oxburgh, dem früherem Vorstand der Shell Transport and Trading Company, der sich im September in die Höhle des Löwen wagte und auf einer ASPO-Konferenz in Irland eine Rede hielt. Bereits im Vorfeld zeigte er sich in einem Interview pessimistisch, was die zukünftige Verfügbarkeit von Öl angeht: "In gewisser Weise ist das Fördermaximum kaum von Bedeutung. [...] Das Problem ist, dass die Nachfrage fast sicher das Angebot übersteigen wird, aus welchen Gründen auch immer, und das ist es, was uns Schwierigkeiten machen wird." Dann kam Donald Paul, Vizepräsident und technischer Leiter des Ölmultis Chevron, der im Oktober bei einer Wirtschaftskonferenz die Frage nach dem Ölfördermaximum eindeutig bejahte, obwohl er einschränkte, dies bedeute "nicht die Katastrophe, die einige Leute erwarten", weil andere Arten der Treibstoffgewinnung zur Verfügung stünden.

Noch dicker kam es dann anlässlich der unlängst in London veranstalteten Oil & Money Conference 2007, auf der verschiedene Teilnehmer das Problem der mangelnden Versorgung und des Fördermaximums ansprachen. Sadad Al-Husseini, ehemaliger Vizepräsident der staatlichen saudischen Ölgesellschaft Aramco, warnte eindringlich davor, dass 300 Milliarden Barrel, beinahe 25 Prozent der weltweiten Reserven, nur "spekulative Ressourcen" seien, die man vielleicht niemals ausbeuten könne. Zuvor hatte al-Husseini in einem Interview das Potenzial Saudi-Arabiens zur kurzfristigen Erhöhung der Erdölproduktion von derzeit 9,5 auf mehr als 12,5 Millionen Barrel am Tag in Frage gestellt und einen Anstieg der Ölpreise in den Bereich um 120 Dollar innerhalb der nächsten fünf Jahre prophezeit. al-Husseini will noch nicht von einem "Maximum" sprechen, erwartet aber ein "Förderplateau" für die nächsten 15 Jahre.

Zu den Branchenexperten, die in einem vornehmen Hotel in der Londoner Park Lane ihre Ansichten zur Ölpreisentwicklung vortrugen, gehörte auch der 2006 zum "Petroleum-Manager des Jahres" gekürte Schokri Ghanem, lybischer Premierminister und Vorstand der staatlichen Ölgesellschaft des Landes. Ghanem äußerte Befürchtungen, dass die Weltförderung von Rohöl ein Niveau von 100 Millionen Barrel am Tag niemals überschreiten werde. "Der Grund dafür liegt darin, dass die Produktion in einigen Ländern absinkt, wir aber keines mehr von den Riesenfeldern finden, die wir in den 50ern und 60ern noch so oft entdeckt haben. [...] Es wird jetzt überall von der Peak-Oil-Theorie geredet," so Ghanem. "Entscheidend ist dabei weniger die Zahl der zu erreichenden Förderhöhe als das Prinzip: Die Welt kann nicht für alle Zeiten unendlich viel Öl produzieren." Christophe de Margerie, Vorstand des französischen Ölkonzerns Total, bezweifelte in London ebenfalls, dass die weltweite Ölproduktion jemals 100 Millionen Barrel am Tag übersteigen werde, und bezeichnete selbst diese Zahl als "eine optimistische Hypothese". De Margerie sieht zwar die größten Probleme bei der mangelhaften und veralteten technischen Infrastruktur der Ölindustrie, musste aber auch zugeben, dass man anderweitig Fehler gemacht habe: "Wir sind definitiv - und zwar alle von uns - zu optimistisch gewesen, was die Geologie angeht."

Beunruhigend ist daneben die Kehrtwende der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, deren Chefökonom Fatih Birol in einem Interview bekannt gab, dass sich seine Organisation in Zukunft nicht mehr auf die Reservenzahlen des United States Geological Survey (USGS) verlassen werde, um seine Prognosen zur zukünftigen Ölförderung zu berechnen. Birol spricht von "Beschränkungen und Unsicherheiten", die es zu beseitigen gelte. Diese Meldung ist von enormer Bedeutung, weil die Energiebehörden oder -ministerien der Industriestaaten sich bei ihrer Arbeit in der Regel auf die Daten der IEA verlassen. Kritiker werfen dem USGS seit längerem vor, ein zu rosiges Bild der Lage zu zeichnen, und möglicherweise ist für die Zukunft eine fundamentale Neubewertung der Lage bei den Ölreserven zu erwarten.

Den Vogel allerdings schoss der amerikanische Shell-Boss John Hofmeister ab, der vor wenigen Tagen in Atlanta eine Rede hielt, die geradezu Churchill'sche Dimensionen hatte. Hofmeister warnte die Amerikaner vor einem "ökonomischen Alptraum" innerhalb der nächsten zehn Jahre und orakelte düster, die letzte zusammenhängende Energiestrategie der US-Regierung seien die Rationierungen im 2. Weltkrieg gewesen. "Was haben wir zu erwarten? Einhundert Dollar pro Barrel? [...] Welche Energiesicherheitsstrategie hat unsere Nation, um mit diesem rätselhaften zehnfachen Anstieg des Rohölpreises in weniger als einem Jahrzehnt fertig zu werden? Stellen Sie sich vor, das nächste Jahrzehnt würde einen weiteren zehnfachen Anstieg bringen." Mit alternativen Techniken sei erst langfristig zu rechnen, handeln aber müsse Amerika jetzt.

Angesichts der früheren Beschwichtigungen, Abwiegelungen und offiziellen Ableugnungen bedeuten diese Aussagen kaum etwas anderes als eine stillschweigende Anerkennung der Peak-Oil-Theorie durch die Führungsetage der Ölwirtschaft. Da wirkt es schon beinahe bizarr, dass Abdallah S. Jum'ah, Präsident von Saudi Aramco, auf dem Weltenergiekongress in Rom die kühne These aufstellte, die vorhandenen Ölreserven würden noch 100 oder 200 Jahre reichen. Nicht die Hälfte des förderbaren Öls sei bereits verbraucht, sondern höchstens sieben bis neun Prozent. Jum'ah verwendete allerdings einen Taschenspielertrick: Er bestreitet gar nicht, dass die Reserven beim so genannten "konventionellen Öl" nur noch etwa die Hälfte dessen betragen, was man in den gut 140 Jahren des Erdölzeitalters bereits aus dem Boden geholt hat, nämlich etwa eine Billion Barrel. Dazu rechnet er aber ohne große Umschweife sieben bis acht Billionen Barrel "nicht-konventionelles Öl", dass in Form von Schweröl, Tiefseebohrungen oder Ölschiefer bzw. -sänden zu gewinnen sei.

Hier aber liegt sozusagen der Ölhund begraben, den auch Professor Straubhaar vom HWWI übersieht, wenn er von den förderlichen Wirkungen des hohen Rohölpreises schwärmt, und dabei handelt es sich nicht um ein Problem von Marktbedingungen oder Investitionen, sondern um eines der Physik: Jede Art von Energiegewinnung hat einen bestimmten Effizienzgrad, der sich aus der Energiebilanz der beteiligten Prozesse errechnet. Im Englischen nennt man diesen Faktor "EROEI" (Energy Returned on Energy Invested), im Deutschen beginnt sich die Bezeichnung "Erntefaktor" durchzusetzen, die herkömmlicherweise für den energetischen Wirkungsgrad von Kraftwerken in Gebrauch ist. Der Erntefaktor spiegelt die Überlegung wider, dass zum Beispiel für die Bereitstellung eines Liters Superbenzin ein bestimmter Aufwand betrieben werden muss, um etwa die zugehörige Ölquelle zu finden, den Bohrturm herzustellen, aufzurichten und zu betreiben, das Öl zur Raffinerie zu bringen, dort in Benzin umzuwandeln und schließlich an einer Tankstelle zu verlaufen, bei der ein Werbeplakat für die Vermarktung sorgt. Für jeden dieser Schritte muss Energie aufgewendet werden, die von der ursprünglichen Energie des Öls abzuziehen ist, um die tatsächliche, für andere wirtschaftliche Aktivitäten verfügbare Nutzenergie zu erhalten. Der Erntefaktor ist das Verhältnis von Nutzenergie zu ursprünglicher Energie, und er muss größer als eins sein, damit ein energetischer Gewinn erzielt werden kann.

Es leuchtet ein, dass die Höhe des Erntefaktors auf Dauer auch eine Auswirkung auf die Kosten haben muss. Energiearten sind zwar weder in technischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht völlig austauschbar, und auch der tatsächliche Preis pro Kilowattstunde weist je nach betrachteter Art der Nutzung beträchtliche Unterschiede auf, auch wenn man Steuern und sonstige Abgaben nicht mit einrechnet. Dennoch lässt sich grob verallgemeinern, dass ein niedrigerer Erntefaktor unabhängig von der Art der beteiligten Energien höhere Kosten nach sich zieht. Dies ist von ganz fundamentaler Bedeutung für die volkswirtschaftliche Bewertung von Methoden zur Energiegewinnung, da hierdurch nicht einfach "Barrel aus konventionellem Ölfeld" gegen "Barrel aus Ölsand" oder "Barrel aus Biodiesel" gegeneinander aufgerechnet werden kann. Für die aktuelle Förderung von Rohöl aus US-amerikanischen Quellen wurde beispielsweise ein Erntefaktor zwischen 11 und 18 errechnet, während eine Studie der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe für deutschen Biodiesel einen Erntefaktor von etwa 3 ergibt. Für den Erntefaktor bei der Produktion synthetischer Kohlenwasserstoffe aus Ölsand in der kanadischen Alberta-Provinz liegen keine seriösen Gesamtrechnungen vor, allerdings bringt bereits der Einsatz von Erdgas zur Erhitzung des Ölsands den Erntefaktor je nach eingesetztem Verfahren auf 4 bzw. 7, so dass insgesamt ein Wert von 3 bis 5 realistisch sein dürfte. Wie man also sieht, besteht zwischen dem konventionellen Rohöl und den Stoffen, mit denen es ersetzt werden soll, in energetischer Hinsicht ein nicht unbeträchtlicher Unterschied, der sich natürlich in den Produktionskosten niederschlägt und damit letztlich in den Aufwand, den die Weltwirtschaft insgesamt betreiben muss, um Energie zu gewinnen.

Mit anderen Worten: Wenn wir unsere derzeitige Wirtschaftsleistung aufrecht erhalten möchten, dabei aber mehr und mehr auf Energie aus unkonventionellen Ölvorkommen oder alternativen Energiequellen angewiesen sind, müssen wir die Energieeffizienz des Bruttoinlandsprodukts drastisch erhöhen und uns genau überlegen, aus welchen Quellen wir in Zukunft die Energie beziehen wollen, ohne die unsere Industriegesellschaft rasch zusammenbrechen würde - und das zusätzlich zu all den anderen Problemen wie der Erderwärmung, dem Mangel an Metallrohstoffen, dem Verlust von Biodiversität oder der Verarmung der Böden. Es reicht nicht aus, einfach nur möglichst viele Windräder oder Biogasanlagen aufzustellen und damit tendenziell anderen Bereichen der Wirtschaft Ressourcen zu entziehen, die Endverbraucher müssen mit weniger Energie auskommen, die besser genutzt werden muss, um keine massive Rezession auszulösen. Und am Ende wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als auf einen Teil unserer Energienutzung schlicht und einfach zu verzichten. Diesen Epochenwandel ohne schmerzhafte Verwerfungen zu bewältigen, den Ölknick zu überleben, ist die große Aufgabe von Politik und Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.

(Zuerst veröffentlicht am 16.11.2007 in ZEIT Community)

Dienstag, 16. Oktober 2007

Redet mal irgendwer von Peak Oil?

Der Rohölpreis steht also kurz vor 88 Dollar, und was soll der Anlass sein? "Spannungen zwischen der Türkei und Kurden im Nordirak sowie spekulative Käufe als Folge der politischen Krise"...! Wir sind nur noch zwei Dollar vom inflationsbereinigten Höchstpreis von 1978 entfernt, und alles, was dem zwischen Journalistenohren üblichen Vakuum einfällt, sind die üblichen Klagen über das gierige Spekulantentum! (Wann fangen sie wieder mit den jüdischen Großbankiers an...?)

Wer Zeit hat, kann ja mal zur Oildrum gehen und sich die erste Grafik anschauen, die den historischen und vermutlich weiteren Verlauf der Erdölproduktion ("Supply") in Bezug zu Bedarf ("Demand") und Rohölpreisen ("Oil Price") zeigt. Die aktuelle Version der Prognose ist vom August, aber die Kurve zeigte bereits Anfang des Jahres in etwa denselben Verlauf. Die Daten gehen auf statistische Veröffentlichungen und Schätzungen der Internationalen Energieagentur, des US-Energieminsteriums und der Megaprojects-Datenbank, die eine Zusammenstellung der großen Ölfelder enthält, zurück. Wie gut zu erkennen ist, wird für den Herbst 2007 (das ist jetzt) ein Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage erwartet, das zu einem "Preisschock" führt. Nun, den haben wir jetzt, und die tatsächlichen Daten entsprechen exakt der Prognose.

Was ist das für ein Spiel, "Wer zuerst Peak Oil sagt, hat verloren"?

Mittwoch, 18. Juli 2007

Auf dem Gipfel

Heute morgen bin ich in die Stadt gefahren. Es sind nur sieben Kilometer, aber wenn ich das Fahrrad nehme, kriege ich die Regalbretter nicht mit, die ich noch für das Büro brauche. Außerdem kann ich dann gleich noch beim Supermarkt vorbeifahren und die restliche Ladefläche unseres alten Kombis mit Bionadekisten, Müslipackungen und Milchcontainern vollpacken. Wirkliche Alternativen dazu gibt es nicht – der öffentliche Nahverkehr besteht hier in der Gegend hauptsächlich aus Schulbussen, und es gibt kaum noch Ladengeschäfte in den Dörfern.

Hin und zurück verbraucht das Auto anderthalb Liter Super, die mich zur Zeit gut zwei Euro kosten. (Erinnern Sie sich noch an den Spruch: „Allah ist mächtig, Allah ist stark. Der Liter Benzin kostet bald zwei Mark“...?) Viele Leute stöhnen wegen der Benzinpreise, die so hoch sind wie nie zuvor, aber wenn man sich den dafür erhaltenen Gegenwert vor Augen hält, macht man eigentlich immer noch ein ganz gutes Geschäft: Ein Liter Super enthält ungefähr 9 Kilowattstunden Energie, ich benötige also 13,5 Kilowattstunden für meine Fahrt, vielleicht 14, weil ich auf dem Rückweg schwerer beladen bin. Nehmen wir an, mein Auto müsste von Menschen gezogen werden, die gut trainiert sind und durchschnittlich etwa 200 Watt Ausdauerleistung bringen. Wenn ich den Weg wie gewohnt innerhalb von 20 Minuten zurücklegen möchte, müssten dementsprechend zum Erreichen derselben 14 Kilowattstunden nicht weniger als 210 muskelbepackte, schweißtriefende Sklaven den ollen Benz im Sprinttempo über die norddeutsche Tiefebene ziehen. Selbst wenn ich Pferde davor spanne (die als kurzfristige Spitzenleistung tatsächlich 12 bis 15 „PS“ bringen), bräuchte ich immer noch 4 bis 5 davon – die ich allerdings nach dieser enormen Anstrengung zum Abdecker geben könnte. Ich hätte natürlich auch die Möglicheit, einen Leiterwagen zu nehmen und gemütlich zu Fuß durch die Feldmark zu spazieren, aber dann würde ich den ganzen Tag mit Einkaufen verplempern. Die zwei Euro für den Sprit sind also ganz gut angelegt.

Wieso kann ich mir diese Massen an Arbeitskraft, von denen selbst antike orientalische Despoten nur träumen konnten, so selbstverständlich und mühelos leisten? Ich zapfe einfach ein Sparkonto an, in dem vor ziemlich langer Zeit eine enorme Menge Sonnenlicht eingefangen, in Form absterbender Algen und Planktontierchen angelegt und als Erdöl und Erdgas in den einbruchssicheren Banktresor der irdischen Gesteinshülle eingelagert wurde. Wenn man der Mehrheitsmeinung der Geologen Glauben schenken darf, geschah dies in einer Zeit großer Erderwärmung, die zu einer ebenso großen Produktion von Biomasse führte, für deren normale Zersetzung in flachen Meereslagunen nicht mehr genügend Sauerstoff vorhanden war. Spätere Überschichtungen, ein langsames Einköcheln und Verflüssigen in den tieferen Erdschichten sowie der Wiederaufstieg in Oberflächennähe haben schließlich zu den Depots geführt, aus denen heute Shell, Yukos & Co. das vermeintliche „Steinöl“ mit (im Vergleich zum Energiegehalt) minimalem Arbeitsaufwand nach oben pumpen und in ihren Raffinierien unter anderem zu Superbenzin verarbeiten. Mein Auto fährt also in Wirklichkeit mit prähistorischem Sonnenlicht – in ungeheuer konzentrierter Form.

Wie hoch diese Konzentration tatsächlich ist, lässt sich mit ein paar überschlägigen Zahlen verdeutlichen: Der weltweite Primärenergieverbrauch betrug 2004 ungefähr 363 Exajoule (Exa = 18 Nullen), davon gut 300 Exajoule in Form von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle (letztere besteht ja in analoger Weise aus urzeitlichen Farnwäldern). Diese Zahl ist etwas unhandlich, aber stellen wir uns vor, wir wollten zum Vergleich die 164 Milliarden Tonnen Biomasse, die jedes Jahr auf der Erde von den Pflanzen neu gebildet werden, nicht zum Essen, Anziehen oder Häuserbauen verwenden (bzw. den Tieren überlassen), sondern vollständig verbrennen – bei einem Durchschnittsheizwert von 12 Megajoule pro Kilogramm ergäbe das knapp 2000 Exajoule. Mit anderen Worten: Wir verheizen ungefähr alle 7 Jahre eine zusätzliche globale Jahresproduktion an Biomasse, die in Form von fossilen Rohstoffen in der Erdkruste gespeichert ist. Was das für den globalen Kohlenstoffkreislauf und den Treibhauseffekt bedeutet, ist ja inzwischen allgemein bekannt, aber wie sieht es mit dem aktuellen Kontostand des unterirdischen Speichers aus? Ein Sparkonto, das keine Zinsen trägt und auf das man nie etwas einzahlt, von dem man aber dauernd abhebt, ist irgendwann unweigerlich leer, auch wenn man es anfangs mit einer Summe zu tun hatte, für die nicht einmal Dagobert Ducks Fantastillionen fassender Geldspeicher ausreichen würde.

Lassen wir Kohle und Erdgas beseite, und konzentrieren wir uns auf den wichtigsten Teil dieses über Jahrmillionen angewachsenen Vermögens, das wir lachende Erben derzeit mit vollen Händen ausgeben: das Erdöl. Allgemeiner Konsens ist, dass seit dem Beginn des Ölzeitalters in den 1860ern weltweit knapp 1100 Gigabarrel konventionelles Öl gefördert wurden und noch mindestens weitere 1000 bis 1200 Gigabarrel als erwiesene Reserven vorhanden sind. Dazu kommen noch zu entdeckende Vorkommen, außerdem flüssige, erdölähnliche Kohlenwasserstoffe, die bei der Erdgasgewinnung anfallen oder durch Erhitzen von Ölschiefern, Ölsanden und Schwerstölen sowie aus der Kohleverflüssigung gewonnen werden. Je nachdem, wie hoch man die Schätzwerte für diese „möglichen“ und „nicht-konventionellen“ Reserven ansetzt und wie schnell die für ihre Gewinnung erforderliche technische Infrastruktur eingerichtet werden kann, ergeben sich unterschiedliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Weltversorgung mit Öl.

Die Optimisten, zu denen die meisten leitenden Ölmanager, die Verfasser des einflussreichen BP-Weltenergieberichts und vor allem der „Ölpapst“ Daniel Yergin mit seiner Consulting-Firma CERA gehören, glauben an die Existenz großer, noch unentdeckter Reservenpotentiale, und sie vertrauen beinahe blind auf den Marktanreiz höherer Ölpreise, der ihrer Meinung nach dazu führen wird, dass schwer zugängliche und technisch anspruchsvolle Vorkommen so schnell erschlossen werden, dass die Fördermenge weiter ansteigt und damit ein weiteres Wachstum der Weltwirtschaft möglich ist. Laut dieser Sichtweise sind noch beinahe 4000 Gigabarrel Reserven vorhanden, es besteht also kein Anlass zur Sorge, und erst für die Jahre um 2045 haben wir mit einem „wellenförmigen Plateau“ zu rechnen, bevor die Welt-Förderkurve langsam wieder absinkt. Bis dahin, so die Hoffnung, funktioniert dann die Kernfusion, oder das Solarzeitalter ist ausgebrochen.

Dem irischen Erdöl-Geologen Colin Campbell, einem der wichtigsten Protagonisten der „Peak-Oil-Bewegung“, zufolge gleicht die Gesamtmenge an Erdöl in der Erdkruste dagegen einem großen Glas Bier: Die ersten Schlucke gelingen mühelos, man muss das Glas nur leicht neigen, um an seinen Inhalt zu kommen, und die Qualität ist exzellent – frisch und schaumgekrönt. Je leerer aber das Glas wird, desto mehr Energie muss man aufwenden, um es beim Trinken anzuheben, und desto schlechter wird die Qualität des Inhalts. Am Ende muss man schließlich das Glas beinahe ganz umstürzen, um an den schalen, schaumlosen Rest zu gelangen. Entsprechend findet man bei der Erdölexploration zuerst die „leichten“, größeren Felder, die man nur anpieksen muss, um schwarzes Gold in allerbester, schwefelfreier Qualität sprudeln zu lassen. (James Dean!!! „Giganten“!!!) Mit der Zeit wird es dann immer schwieriger, neue Quellen zu finden, die technischen Anforderungen wachsen ebenso wie der für die Förderung notwendige Energieaufwand, und am Ende gibt es nur noch eine zähflüssige, schweflige Brühe in winzigen Feldern, deren Ausbeutung Unsummen verschlingt, weil man an die Grenzen der Technik gehen und dazu noch diverse vor Ort agierende Bürgerkriegsparteien bestechen muss. Irgendwo dazwischen liegt der sogenannte „depletion midpoint“, der Punkt, an dem die einfach zu erschließende Hälfte gefördert ist und die Förderrate aufgrund technischer, finanzieller, politischer und geologischer Beschränkungen nicht mehr gesteigert werden kann. Und von da an geht es abwärts.

Mathematisch formalisiert wurde dieser Gedanke schon vor einigen Jahrzehnten von dem US-Geophysiker M. King Hubbert, der Ende der 1950er Jahre korrekt – und unter den heftigsten Schmähungen seiner Kollegen und Arbeitgeber in der Ölindustrie – das Erdöl-Fördermaximum für die kontinentalen Kernstaaten der USA auf das Jahr 1971 datierte. Seitdem sinkt die Fördermenge des einstmals größten Erölproduzenten der Welt trotz aller Anstregungen einer fortschrittsverliebten Hightech-Volkswirtschaft (und sogar trotz der Ölfunde in Alaska!) kontinuierlich ab und hat zu dem allseits bekannten symbiotischen Verhältnis Washingtons mit den arabischen Feudalaristokratien geführt. Hubbert prognostizierte auch ein weltweites Fördermaximum für das Jahr 2000, das offensichtlich nicht eingetreten ist – allerdings machte er diese Vorhersage 1969, also vor den großen Ölschocks und Wirtschaftskrisen der 1970er, die einen beträchtlichen Nachfragerückgang und anschließend zumindest teilweise erfolgreiche Bemühungen um eine effizientere Verwendung des Erdöls nach sich zogen. Wenn man diesen Faktor einberechnet, verschiebt sich der Zeitpunkt des weltweiten „Hubbert-Peak“ um ungefähr fünf bis zehn Jahre. Mit anderen Worten: Wir wären mitten drin.

Sind wir das? Es lässt sich nicht auschließen. Die Weltförderung von Rohöl einschließlich Erdgaskondensat hat im Mai 2005 mit 74,27 Megabarrel pro Tag ihren bisherigen Höhepunkt erreicht, seitdem tändelt die Fördermenge um 73 bis 74 Megabarrel pro Tag herum, ohne dass dafür eine stagnierende Weltwirtschaft verantwortlich gemacht werden könnte. Wichtige Erdöl-Exportnationen haben offensichtlich ihren Fördergipfel bereits überschritten: Die Produktion in Norwegen nimmt pro Jahr um ca. 7 Prozent ab, das ist wesentlich mehr als noch vor ein paar Jahren erwartet, auch Großbritannien ist seit 2006 wieder Nettoimporteur von Erdöl, und der Rückgang der mexikanischen Förderrate kann nur noch als Absturz bezeichnet werden – die Rebellen der „Revolutionären Volksarmee“ mit ihren Pipeline-Anschlägen wissen genau, wo sie den verhassten Staat, dessen Haushalt zu einem wesentlichen Teil aus Öl- und Erdgaseinnahmen besteht, in seinem Lebensnerv treffen können. Derzeit ruht alle Hoffnung auf der OPEC, die weiterhin behauptet, die Produktion jederzeit bei Bedarf steigern zu können, aber selbst wenn das stimmen sollte, haben die Mitgliedsstaaten offenbar nicht genügend Öl der Qualität „Light Sweet Crude“ im Angebot, den bevorzugten Rohstoff für die Raffinierung von Benzin und Diesel, was in den letzten Monaten zu einer relativ stärkeren Verteuerung von Nordseeöl – das eben diese Eigenschaften aufweist – geführt hat.

Schlechte Zeiten für die Optimisten also. Und Neuentdeckungen in der Größenordnung der sogenannten „Elefanten-Felder“ oder „Super-Giants“ (u. a. Ghawar in Saudi-Arabien, Cantarell in Mexiko oder Burgan in Kuwait), die einen substanziellen Teil der gegenwärtigen Ölförderung liefern, sind seit Jahrzehnten nicht gemacht worden; die letzten waren die Nordsee und der North Slope in Alaska. Neue Fundstätten mittlerer Größenordnung wie das kasachische Kaschagan-Feld (dessen potenzielle Größe inzwischen von 32 auf „9 bis 16“ Gigabarrel zurückgestuft werden musste, also vielleicht ein Fünftel des Welt-Jahresbedarfs) oder das Tiefseefeld Thunder Horse im Golf von Mexiko werden aufgrund von technischen Schwierigkeiten um Jahre später in Produktion gehen als ursprünglich vorgesehen. Die Zahl der Neufunde hat in den 1960ern ihren Höhepunkt erreicht und ist seitdem kontinuierlich gesunken – was man nicht findet, ist aller Wahrscheinlichkeit nach einfach nicht da.

Behindert wird die Erdölförderung aber auch durch politische Umstände: Viele Ölförderländer haben einen neuen Ressourcennationalismus entdeckt, der im diametralem Gegensatz zu der schönen neuen Welt des Freihandels steht, die um 1990 von einigen voreiligen Kommentatoren ausgerufen wurde. Gerade hat die russische Regierung BP und Shell mit Hilfe fingierter Anschuldigungen über angebliche Umweltverstöße gezwungen, ihre Beteiligungen an sibirischen Erdgasfeldern an die staatliche Gazprom zu verkaufen, und Venezuelas umtriebiger Präsident Hugo Chávez hat die Gringos von ConocoPhillips und ExxonMobil mit Verstaatlichungsdrohungen aus dem Land gejagt. Ein weiteres Problem stellen instabile politische und gesellschaftliche Verhältnisse in vielen Förderregionen dar. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Unruhen in Nigeria samt Entführungswelle und Generalstreik, aber wer weiß schon, dass es auch in der „Krisenregion“ Darfur große Ölvorkommen gibt?

Der jüngste Anstieg der Rohölpreise auf knapp unter 80 Dollar pro Barrel hat sogar die Mainstreammedien aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt, und vor kurzem klärte ein Bericht bei Spiegel Online den deutschen Durchschnittsuser darüber auf, dass die in Paris beheimatete Internationale Energieagentur vor einer möglichen Ölkrise warnt, die sich innerhalb von fünf Jahren aufgrund mangelnden Angebots bei steigender Nachfrage einstellen könnte. Es ist beinahe eine Art Gezeitenwende, dass die notorisch optimistisch gesinnte IEA beginnt, sich den harten Realitäten der Geologie zu stellen, aber darüber kann man in Afrika schon heute nur lachen: Da sich die dortigen Volkswirtschaften Rohöl bereits zu den derzeitigen Preisen kaum noch leisten können, ist die Wirtschaft in vielen Ländern südlich der Sahara mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Die Nachrichten sprechen für sich: Treibstoffmangel in Kenia und Gambia, allgemeine Energiekrise in Ghana, Raffinierie in Sambia ohne Rohöl, Schwarzmarkt für Öl heizt Inflation in Simbabwe an (als ob das Land nicht genug Probleme damit hätte, von einem Irren regiert zu werden...), Botswana steigt auf Kohle um, nicht genügend Elektrizität in Uganda und im Senegal (in Afrika wird Elektrizität vor zu einem beträchtlichen Teil durch Dieselgeneratoren erzeugt); selbst das ölreiche Nigeria leidet wegen der Unruhen und nicht ausreichender eigener Raffinieriekapazitäten an Benzinmangel. Kommt alles nicht in den „Tagesthemen“? Dummerweise hören wir von Afrika in unseren Massenmedien immer nur dann, wenn die Zahl der Flüchtlinge auf den Kanaren oder Malta wieder einen neuen Rekordstand erreicht hat – ansonsten befinden wir uns im Paris-Hilton-Modus. Aber wie viele Afrikaner werden es in ein paar Jahren sein, die an den Urlaubsstränden der reichen Nordeuropäer für schlechtes Gewissen sorgen, wenn sich die Situation noch weiter verschlechtert hat, als sie ohnehin schon ist? Und wann kommt der Umschwung vom schlechten Gewissen zum Hass auf die zusätzlichen Esser?

Nicht dass die Krise auf Afrika beschränkt wäre: Der Bogen spannt sich von Argentinien, das letzte Woche Erdgaslieferungen an Chile einstellen musste, um den eigenen Bedarf sicherzustellen, über Nepal, das seine Benzinrechnungen in Indien nicht mehr bezahlen kann, bis hin zu Pakistan, wo die Regierung von Präsident Musharraf zunehmend Straßenunruhen begegnen muss, weil die Elektrizitätsversorgung immer wieder zeitweise zusammenbricht. Wenn in den Fernsehbildern von irgendwo auf der Welt zornige, Fäuste schüttelnde Menschen zu sehen sind, ist das nicht immer und unbedingt auf religiöse Streitigkeiten zurückzuführen. In Wirklichkeit beginnt offenbar an den Rändern unserer Wahrnehmung das, was der US-Autor James Howard Kunstler den „Langen Notstand“ nennt – eine historische Epoche von unabsehbarer Dauer, die von Ressourcenkriegen, Klimakatastrophen und dem schleichenden Zusammenbruch der bisherigen staatlichen Ordnung geprägt sein wird. Wann treten wir, die Europäer, in diese neue Ära ein?

Und was bedeutet das alles für mich? Mein Leben verläuft oberflächlich gesehen relativ „ölarm“, ich arbeite von zu Hause aus über das Internet und muss nicht jeden Tag mit dem Auto ins Büro. Meine letzte Flugreise liegt auch schon ziemlich lange zurück, und ein nicht unbedeutender Anteil unserer Lebensmittel kommt aus dem eigenen Garten oder von Erzeugern aus der unmittelbaren Umgebung. Das Haus haben wir mit Holz, Lehm und Hanf ausgebaut, und nächstes Jahr will ich einen Haufen Hainbuchen pflanzen, die eines Tages in Kopfbewirtschaftung eigenes Brennholz liefern sollen. Andererseits frisst das Einkaufen viel mehr Sprit als früher in der Stadt, der Ölbrenner ist noch zu neu, um ihn zu ersetzen, und die Baumaterialien sind nicht gerade per Pferdekutsche ins Dorf gekommen: Die Ziegelsteine, aus denen der Hof 1941 gebaut wurde, hat man noch im Nachbarort gebrannt; unser Lehmputz dagegen kommt aus Sachsen, der Hanf für die Dachdämmung aus der Uckermarck, die Bodendielen aus Schweden.

Und dann das Internet – trotz aller elektronischen Werbeprospekte, Pornoshops und Heiratsmärkte die fantastischste Erfindung unserer Zivilisation, eine unglaubliche und immer wieder umwerfende Mischung aus der Bibiliothek von Alexandria, der athenischen Volksversammlung und der preußischen Staatspost. Ich könnte hier weder leben noch arbeiten, wenn es das weltweite Computernetz nicht gäbe, dass mir jeden Tag eine virtuelle, weltweit organisierte Agora ins Haus bringt, das Beste der städtischen Kultur, ohne dafür Verkehr, Menschenmassen und Häusergebirge in Kauf nehmen zu müssen. (Nicht dass Sie meinen, ich hätte grundsätzlich etwas gegen Technik...) Und nun vor kurzem diese Meldung: Jede Suchanfrage bei Google soll schätzungsweise soviel Energie verbrauchen, dass eine 11-Watt-Energiesparbirne damit eine Stunde lang leuchten könnte. Wenn ich an die Zahl meiner täglichen beruflichen wie privaten Googeleien denke – genug, um den Ballsaal des Adlons die ganze Nacht erstrahlen zu lassen... Und die Computer, das physische Rückgrat dieses ungeheuren, scheinbar immateriellen Netzwerks? Für die Herstellung jedes einzelnen davon werden (laut WWF) „durchschnittlich 240 Kilogramm fossile Brennstoffe zur Energiegewinnung, 22 Kilo Chemikalien und 1,5 Tonnen Wasser verbraucht“. Und diese Chemikalien haben es in sich: Coltan aus dem Kongo, wo seine Gewinnung die Wildfauna bedroht und Bürgerkriege finanziert; Blei und andere giftige Schwermetalle; bromierte Flammschutzmittel und Weichmacher, die sich in der Nahrungskette anlagern. Das Glitzerding Internet ist nicht denkbar ohne seine unsichtbare Basis aus Kohle- und Atomkraftwerken, Rohstoffminen, Chemiewerken und Industrieanlagen, die alle ordentlich Energie verbrauchen und den Planeten vollmüllen. Wenn diese untrenntbar mit der Nutzung fossiler Rohstoffe verbundene Infrastruktur ihren Input aus prähistorischem Sonnenlicht verliert, ist das Netz mausetot.

Was also tun? Werden mich Biotreibstoffe aus Algen retten? Die Kernfusion? Die Wiederkehr des Brutreaktors? Wasserstoffautos, die mit Sonnenkollektoren in der Sahara getankt werden? Wind- und Gezeitenfarmen in der Nordsee? Gesetzlich vorgeschriebene Energiesparlampen? Hanfplantagen, die man nicht nur wegkiffen, sondern zu Biogas verarbeiten kann? Der „Hirsch-Report“, ein 2005 für das US-Energieministerium erstellter Bericht über die Folgen des Ölfördermaximums, kommt zu dem ernüchterndem Schluss, dass man 20 Jahre vor dessen Auftreten damit beginnen müsste, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um schwerwiegende Folgen und Energieknappheit zu vermeiden. Das hat unter anderem den einfachen Grund, dass eine völlig neue Energieinfrastruktur – woraus auch immer sie bestehen mag – ungeheure Investitionen verschlingen würde, die man von den laufenden Wirtschaftsaktivitäten abzweigen müsste. In einer weiterhin stetig expandierenden Weltwirtschaft wäre das – mit ein wenig Einschränkung – nicht einmal undenkbar, aber wenn die Energiekosten stärker steigen, als die Energieeffizienz verbessert wird, weil der Hubbert-Peak bereits erreicht wurde, ist ein Rückgang der Gesamtwirtschaftsleistung die unausweichliche Folge. Denn dann müssen neue Investitionen mit den Anstrengungen konkurrieren, überhaupt das bisherige Niveau zu halten – ganz elementar bis hin zur Verhinderung von Hungersnöten, weil die gegenwärtige Höhe der landwirtschaftlichen Produktion ohne fossile Rohstoffe für die Düngemittelgewinnung, Pestizidproduktion und den Betrieb der Arbeitsmaschinen nicht aufrechtzuerhalten ist. Jede Regierung der Welt wird bei knapper Ölversorgung planwirtschaftlich dafür sorgen, dass die Bauern weiter ihre Trecker und Mähdrescher fahren können. Ebenso wird man möglichst versuchen, die Verkehrsinfrastruktur, die medizinische Versorgung und ein Mindestmaß an einheimischer industrieller Produktion zu gewährleisten. Ob dann noch Steuergelder für den ITER-Forschungsreaktor übrig sind?

Währenddessen träumt die Menschheit weiter von einer Zukunft in den Sternen, in der wir überlichtschnell durch die Galaxie rasen oder den Mars bepflanzen, um der Zivilisation neue Expansionsmöglichkeiten zu erschließen. Wahrscheinlicher ist, dass wir demnächst wesentlich kleinere Brötchen backen müssen und in diesen Jahren das Maximum dessen erreicht haben, was eine auf fossilen Rohstoffen basierende, nicht-nachhaltige Zivilisation leisten kann. Das heißt sicher nicht, dass langfristig ein grundsätzlicher Wandel unmöglich wäre, aber kurzfristig graut es einem vor dem Weg dorthin.

Mittwoch, 20. Juni 2007

Grünes Rückgrat

Ein kleiner Nachtrag zum letzten Post: Gerade verbreitete Radio Bremen die Meldung, dass die Bremer Grünen nach dem Erfolg der rot-grünen Koalitionsverhandlungen dem Neubau eines Kohlekraftwerks mit jährlich rund fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß im Stadtteil Mittelsbüren nicht mehr grundsätzlich negativ gegenüberstehen. Im Wahlkampf hatten Bremens künftige Mitregierende noch gegen die CO2-Schleuder gewettert, aber nachdem E.ON den Bau jetzt als "Experiment" verkauft, bei dem "zukünftige Techniken" der CO2-Einsparung erprobt werden sollen, haben sie ihr Herz für die Technik entdeckt. Oder ihr Herz für große Dienstwagen? Nachdem Sie sich bereits bei der Ausbaggerung der Unterweser der Position der SPD gebeugt haben, besteht das weitere Parteiprogramm der Grünen in Bremen von nun wohl vornehmlich aus "Hauptsache mitregieren". Soviel zu der Frage, ob die Grünen für den Umweltschutz eintreten.

Montag, 4. Juni 2007

Zurück zu den Graswurzeln

Für eine neue Ökoradikalität

Alle raufen sich die Haare, keiner will's gewesen sein. Mein Gott, die Erde heizt sich auf...! Bangladesh geht unter...! Die Bienen verschwinden...! Biodiesel bringt Orang-Utans um...! Tortilla-Krise in Mexiko wegen US-Äthanolfabriken...! Sinkende Ölförderraten...! Das größte Artensterben seit den Dinosauriern...! Wie konnte das nur geschehen? War das die böse Industrie? Ein Virus aus dem All? Eine geheime Verschwörung von Bilderbergern und Illuminaten? Die fiesen, übergewichtigen Amis mit ihren spritsaufenden SUVs, wie üblich?

Keineswegs. Das waren wir selbst. Wir und unsere mindestens dreißig Jahre alte Weigerung, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Wir und unser alberner Glaube, auf einer endlichen Welt wäre unendliches Wachstum möglich, das man nur ein wenig grün anstreichen muss, um für „Nachhaltigkeit“ zu sorgen. Wir und unsere Mülltrennung, unsere Katalysatorautos, unsere Naturschutzgebiete, unser sanfter Tourismus, unser Dosenpfand, unsere nachwachsenden Rohstoffe, unser DDT-Verbot, unsere Ökosteuer und unser Ausstieg aus der Kernenergie, der am Ende sowieso keiner ist. Wir mit unserer ewigen Halbherzigkeit.

Man kann nicht gerade behaupten, das Thema wäre erst seit gestern auf dem Tisch. 1962, von heute aus betrachtet beinahe schon ein Zeitalter entfernt, erschien Rachel Carsons Klassiker Der stumme Frühling, der den US-Amerikanern zum ersten Mal vor Augen führte, wohin der ungehemmte Einsatz von chemischen Stoffen, die von der Natur nicht vorgesehen sind, für die „Schädlingsbekämpfung“ in der industriellen Landwirtschaft führt. Carsons vehemente Anklage war die Initialzündung für die Entstehung der US-Umweltbewegung, die bald auch auf Europa übergriff, wo sie auf ältere Traditionen wie die Lebensreformbewegung oder die Biologisch-dynamische Landwirtschaft traf und ihnen neues Leben einhauchte. 1971 wurde Greenpeace gegründet, ein Jahr später erschien der nächste Klassiker, Dennis Meadows' Die Grenzen des Wachstums, der den Lesern die Gefahren exponentiellen Wachstums in einer endlichen Welt drastisch vor Augen führte, und noch ein Jahr später erfuhr die westliche Welt, dass es kein Menschenrecht auf eine gesicherte Ölversorgung gibt.

Muss man noch Jimmy Carter erwähnen, der Solarzellen auf das Dach des weißen Hauses montieren ließ und die Global 2000-Studie in Auftrag gab, laut Wikipedia immer noch „die Bibel der modernen Umweltbewegung“? Die Schrecksekunde von Harrisburg? Die Pest von Seveso? Das Jahr der Geigerzähler 1986, als in der Ukraine das passierte, was doch niemals passieren sollte? Das große Robbensterben 1989? Die UN-Klimarahmenkonvention von Rio, die schon vor 15 Jahren deutlich machte, dass eine weitere Erhöhung menschengemachter Treibhausgase den sicheren Weg in die Hölle bedeuten würde? Die Ölpestkatastrophen in Alaska und der Bretagne? Die großen Überschwemmungen, bei denen in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder in Nordamerika und Europa die Flüsse außer Rand und Band gerieten?

Vor bald drei Jahrzehnten führten Ereignisse wie diese dazu, dass manche Leute radikale Fragen stellten und ebenso radikale Antworten gaben. Kritiker wie Carl Amery, Rudolf Bahro, Robert Jungk oder Herbert Gruhl auf der einen, die „Graswurzelrevolution“ oder die Ökosozialisten bei den Grünen auf der anderen Seite hielten sich nicht mit Mülltrennung und Tempolimits auf, sondern stellten die Mechanismen und geistigen Grundlagen der Industriegesellschaft selbst in Frage: Eine Kultur, die auf der zerstörerischen Aneignung ihrer materiellen - notwendigerweise beschränkten - Grundlagen basiert, muss sich irgendwann selbst fressen. Eine Wirtschaftsweise, die nur unter der Voraussetzung unendlichen exponentiellen Wachstums überhaupt einen Sinn ergibt, ist auf Dauer gesehen eine Absurdität. Eine Ideologie, die den Menschen außerhalb der natürlichen Lebenszusammenhänge stellt und ihm ein gottgegebenes Recht zuerteilt, diese Lebenszusammenhänge bedenkenlos zu seinem eigenen Nutzen auszubeuten, macht uns blind dafür, was wir wirklich sind: ein untrennbarer Teil des Ganzen.

Was ist seitdem mit der Umweltbewegung geschehen? Ein Paradebeispiel für den Weg von der überaus berechtigten Fundamentalkritik zum sinnlosen Herumdoktern an Detailfragen und Symptomen sind die Grünen, die heute wenig mehr als eine FDP mit Biodieselantrieb darstellen. Irgendwann Ende der 80er übernahm eine Kamarilla von frustrierten ehemaligen „Linksradikalen“ (die vermutlich auch nur linksradikal waren, weil das in der RAF-Zeit die zukunftssicherste Karrierechance zu sein schien) das Ruder, die von einem gewissen Joseph Fischer aus Frankfurt angeführt wurden und in den Grünen nach deren ersten Wahlerfolgen ihre letzte Chance sahen, nochmal irgendwann im Leben an die Schaltstellen der Macht zu gelangen. Und welch großen Erfolg sie damit hatten! Herr Minister Fischer, Herr Minister Trittin, Herr Staatsminister Volmer, Frau Bundestags-Vizepräsidentin Vollmer, Herr Europaabgeordneter Cohn-Bendit - Stars einer Bewegung, die mit dem Rotationsprinzip für Abgeordnete und der Zwangsabgabe von Diäten anfing und bei Cem Özdemirs Bonusmeilenaffären endete.

Was aber war der Preis dafür, dass die radikalen Ökologen nach Fischers Coup die Partei verließen und die radikalen Pazifisten ihnen spätestens nach der deutsche Teilnahme am Kosovo-Krieg folgten? Die Umweltpolitik wurde Teil des üblichen politischen Kuhhandels: Ich stimme deiner Reform zu, aber nur, wenn du sie möglichst verwässerst und mir dafür den Ministerposten in meinem Lieblingsressort gibst - dafür stimmst du das nächste Mal meiner Reform zu, die ich ebenfalls verwässern werde, aber so, dass es keiner merkt und alle meinen Eifer loben; letztendlich sind wir doch alle Menschen und können zusammen einen Rotwein trinken gehen... Dass ist herzerwärmend, führt aber am Ende dazu, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie verkündet, während man in Wirklichkeit eine Bestandsgarantie für den weiteren Betrieb von Atomkraftwerken abgegeben hat. Oder vom Umbau des Agrarsystems schwafelt, während in Wirklichkeit der 1000-Hektar-Betrieb zur Norm wird (Motto: „ein Dorf, ein Bauer“) und jedes Jahr - auch während der Zeit der rotgrünen Regierung - weitere Bundesmittel für die habitatzerstörende „Flurbereinigung“ ausgegeben werden. Oder von der Industrie das Drei-Liter-Auto fordert, während man selbst zu Dienstwagen mit immer stärkeren Motoren greift. Oder Biogasanlagen steuerlich fördert, deren Beschickung mit Mais zu Monokulturen, Bodenerosion und Pestizideinsatz in ungekanntem Ausmaß führt. Oder, oder, oder.

Der neueste Schlager in dieser Hitparade der Ersatzbefriedigungen heißt „Biotreibstoff“. Die Bauern sollen, wie Renate Künast das einst so wortgewandt formulierte. zu Ölscheichs werden, und unsere Blechschleudern sollen mit Rapsöl oder malaysischem Palmenschnaps laufen, damit ein bisschen weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt und ja alles so weitergehen kann wie bisher. Kein Gedanke mehr daran, dass das Problem nicht der Treibstoff ist (der Gott sei Dank irgendwann zu Ende gehen wird), sondern unsere „Mobilitätskultur“, die auf der Grundannahme basiert, dass jeder Mensch das Recht habe, in 50 Kilometer Entfernung von seiner Arbeitsstelle zu wohnen, jedes Jahr drei Mal in den Urlaub zu fliegen und im Januar neuseeländische Erdbeeren zu essen. Ebenso setzt man alle Hoffnungen in das technische Luftschloss „Kohlendioxid-Sequestrierung“ für Kohlekraftwerke, um ja nicht der Gefahr ins Auge sehen zu müssen, dass das Zeitalter der elektrobetriebenen Küchenmixer kürzer sein könnte, als Thomas Edison sich das vorgestellt hatte.

Es hilft nichts - wir kommen um einer neue Diskussion von Grundsatzfragen und eine neue Radikalität bei deren Beantwortung nicht herum. Wenn die Klimawissenschaftler Recht haben, beginnt der Planet sich langsam gegen uns zu wehren, und der aktuelle Biotreibstoffboom könnte in wenigen Jahren auch noch die letzten Waldgebiete des Planeten zu reinen Rohstofflieferanten unserer Kohlenwasserstoffmaschinen degradieren. Wieviel Zeit wird uns bleiben, um das Schlimmste noch abzuwehren, wenigstens einen Teil des großen Artensterbens zu verhindern und das Ende der Industriekultur so wenig abrupt wie möglich zu gestalten? Vermutlich nicht allzu viel. Reden wir also wieder über die Überbevölkerung. Über die drohenden Rohstoffkriege. Über das Ende des Ölzeitalters. Über die Vergewaltigung unseres Bodens durch die konventionelle Landwirtschaft. Über den Irrsinn des globalen Flugverkehrs. Über unsere heile Kleinbürgerwelt mit ihren Einfamilienhäusern und Rasenwüsten, die unsere Landschaft zerstört hat. Über die neoliberalen Dünnbrettbohrer, die die öffenliche Rede über Wirtschaftsfragen im Würgegriff der kurzfristigen Gewinnmaximierung halten. Über Opfer, Mühen und Einschränkungen, die uns bevorstehen.

Es ist Zeit, dass die radikalen Lebens- und Naturschützer aus ihren kleinen Nischen und Permakultur-Schrebergärten wieder herauskommen und sich um die Res publica kümmern. Auf die Grünen ist nicht mehr zu hoffen, die Volksparteien sind ohnehin industriefixiert, und die Globalisierungsgegner haben noch nicht begriffen, das eine weltweit gerechte Verteilung der Mittel und Ressourcen bedeutet, dass wir alle bescheiden werden müssen - und zwar mehr, als uns lieb sein wird. Das ist kein dankbarer Job, weil niemand gerne dem Blues vom Verzicht und von der Mühsal zuhört. Aber irgendwann und irgendwo muss man ja mal anfangen.

Montag, 7. Mai 2007

Erdöl: Ist das Fördermaximum bereits erreicht?

In den letzten Wochen und Monaten starrt alle Welt wie hypnotisiert auf den IPCC-Klimabericht und die drohende Erderwärmung. Die Deutschen wollen plötzlich ein Tempolimit auf der Autobahn akzeptieren, die Bundeskanzlerin hat Angst vor „Flüchtlingsströmen und kriegerischen Auseinandersetzungen“, Jacques Chirac fordert eine Klima-UNO, der Mann im Weißen Haus will den Tiger im Tank mit Äthanol vermischen, und nach Thailand fliegen soll man in Zukunft auch nicht mehr. (Meine Kinder werden wohl als Schiffsjungen auf einem der geplanten neuen Frachtsegler anheuern müssen, wenn sie die Welt kennenlernen möchten...) Unterdessen bahnen sich in aller Stille tektonische Umwälzungen einer ganz anderen Art an, deren Auswirkungen das Thema Klimawandel schon in wenigen Jahren in die zweite Reihe verbannen könnten: Wenn wir Pech haben, befindet sich die Welt-Ölförderung den aktuellsten Daten zufolge bereits auf ihrem von vielen Seiten erst für 2010-2020 vorhergesagten historischen Gipfelpunkt. Und wenn wir noch mehr Pech haben, bedeutet dies nichts anderes, als dass wir endgültig an die vor dreißig Jahren prophezeiten „Grenzen des Wachstums“ stoßen, und zwar wesentlich früher und wesentlich unvorbereiteter, als uns lieb sein kann.

Geologen contra Ölindustrie

Um Existenz und Zeitpunkt des globalen Ölfördermaximums, auf Neudeutsch auch „Peak-Oil“ genannt, streiten sich seit über zehn Jahren offizielle Vertreter der Ölindustrie und Analysten wie der „Ölpapst“ Daniel Yergin auf der einen Seite mit unabhängigen Geologen wie Colin Campbell und Kenneth Deffeyes, den Autoren Richard Heinberg und James Howard Kunstler oder dem Öl-Investmentbanker Matthew Simmons auf der anderen Seite. Während Yergins Beratungsunternehmen CERA und dessen Chefgeologe Peter Jackson die Parole „Don't worry, be happy!“ ausgeben und auf steigende Reservenzahlen sowie die rasche Verfügbarkeit von unkonventionellen Vorkommen wie Tiefseeöl oder kanadischen Ölsanden bauen, sieht die Gegenseite die geologischen und technischen Gegebenheiten pessimistischer. Dabei berufen sich die „Peak Oilers“ auf die Arbeiten des US-Geophysikers M. King Hubbert, der in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Ölfördermaximum für die kontinentalen USA korrekt auf 1971 datierte (und sich seinerzeit nicht weniger heftigen Schmähungen als heute Campbell oder Deffeyes ausgesetzt sah).

Das Hubberts Ansatz zugrunde liegende Prinzip ist einfach zu verstehen: Im Gegensatz zum Konzept der „statischen Reichweite“ (die bekannten Erdölreserven würden bei gleichbleibender Verbrauchshöhe noch gut 40 Jahre reichen, siehe z. B. BP-Weltenergiebericht), das eine linear gleichbleibende oder stetig ansteigende Erdölförderung bis zu ihrem plötzlichen Ende suggeriert, folgt die Produktion bei großen Feldern oder ganzen Förderregionen über die Zeit einer Art gaußschen Normalverteilung mit ihrer typischen Glockenkurve. Die Fördermenge steigt zunächst an, erreicht dann ihr Maximum (den „Peak“) und fällt schließlich langsam wieder ab, weil in der Regel das einfach zu erschließende Öl in den großen Feldern zuerst gefunden wird, die verbleibende zweite Hälfte in den kleineren Restfeldern einen höheren technischen und logistischen Förderaufwand erfordert und die Förderrate aufgrund prinzipieller geologischer Beschränkungen schließlich auch mit den größten technischen Anstrengungen nicht mehr vor dem Absinken bewahrt werden kann. Umstritten ist, ob dies auch für die gesamte Weltförderung gilt.

Yergin und CERA behaupten, statt eines Maximums wäre ein „wellenförmiges Förderplateau auf hohem Niveau bis 2052“ zu erwarten; die Peak-Oil-Aktivisten kontern mit geduldigen Aufaddierungen aller bekannten Fundstätten, dem Vergleich von Aufschlussbohrungen mit Neufundzahlen sowie ausgeklügelten statistischen Methoden zur Abschätzung des jeweiligen Förderpotenzials (näheres dazu auf deutsch siehe hier). Die Ergebnisse sind immer gleich niederschmetternd: Irgendwann bis etwa 2020 werden die Neuerschließungen die sinkenden Förderraten der älteren Quellen nicht mehr wettmachen können, und dann kann keine Macht der Welt mehr unseren wachsenden Energiehunger durch eine Erhöhung der Erdölförderung befriedigen.

Dass über das Thema überhaupt diskutiert werden muss, liegt an der restriktiven Informationspolitik der Ölscheichs: Ausgerechnet der Schlüsselproduzent Saudi-Arabien, das Land mit den höchsten gemeldeten Reserven, behandelt Produktions- und Reservendaten als Staatsgeheimnis, und spätestens seit Matt Simmons' Bestseller von 2005, „Twilight in The Desert“, in dem der Brancheninsider ein baldiges Absinken der saudischen Fördermenge vorhersagte, nimmt die Beobachtung der nahöstlichen Ölproduktion den Stellenwert ein, den früher die Kreml-Astrologie hatte – kommt noch was, oder kommt nichts mehr? In jedem Fall entsprechen die offiziellen Reservenzahlen vermutlich keines einzigen OPEC-Landes der Realität, weil die Organisation Mitte der 80er Jahre beschloss, ihren Mitgliedern Förderquoten auf der Grundlage von Reservenmengen zuzuweisen, weswegen es plötzlich im Laufe weniger Jahre bei allen zu einem mysteriösen Hochschnellen der gemeldeten Zahlen kam, ohne dass entsprechende Explorationsaktivitäten zu verzeichnen gewesen wären. Diese Zahlen aber sind es, die etwa der BP-Weltenergiebericht aufführt, und mit diesen Zahlen hält auch Saudi-Arabien die Behauptung aufrecht, seine Ölproduktion problemlos innerhalb kürzester Zeit von derzeit knapp neun auf zwölf oder noch mehr Megabarrel pro Tag steigern zu können. Leider lässt es seinen Worten keine Taten folgen, obwohl dies bei einem Ölpreis von derzeit fast 70 US-Dollar pro Barrel (Anfang April 2007) dringend nötig wäre.

Die aktuellen Daten

Seit kurzem liegen nun die von der Energy Information Administration, einer Unterabteilung des US-Energieministeriums, veröffentlichten Erdöl-Produktionszahlen (xls-Tabelle, darin Links zu weiteren Tabellen) bis einschließlich 2006 vor. Danach haben viele wichtige Ölförderregionen und -länder in den letzten Jahren offenbar ihr Produktionsmaximum erreicht. Für Venezuela war dies etwa 1999 der Fall, für die Nordsee 2001, für Mexiko und Iran 2004 (was ein etwas anderes Licht auf das iranische Atomprogramm wirft!) und für die OPEC insgesamt im September 2005. Die höchste weltweit erzielte Fördermenge für Rohöl plus Erdgaskondensat waren 74,15 Megabarrel pro Tag im Mai 2005. Dies entspricht in etwa den Vorhersagen von Colin Campbell, dessen aktuellste Modelle das Fördermaximum für konventionelles Öl im Jahr 2005 und für flüssige Kohlenwasserstoffe insgesamt im Jahr 2010 ansiedeln.

Auch die neuesten Entwicklungen bei Saudi-Arabien geben eher wenig Anlass zu Hoffnung: Die dortige Produktion ging 2006 um durchschnittlich 8 Prozent zurück, obwohl sich die Anzahl der im Land eingesetzten Bohrtürme seit 2004 verdreifacht hat. Entweder die Saudis horten also irgendwo Öl, um damit zu einem günstigen Zeitpunkt den Markt zu überschwemmen, oder sie produzieren tatsächlich hart an ihrer Kapazitätsgrenze und können trotz vermehrter Explorationsbohrungen den im April 2006 gemeldeten Rückgang ihrer älteren Felder nicht wie behauptet durch Neuförderung ersetzen. Der Rückgang ist umso erstaunlicher, als die Rohölpreise trotz des leichten Absackens von den im Juli 2006 erreichten Spitzenwerten immer noch weit über den Werten von 2005 liegen, sodass Saudi-Arabien eigentlich keinen Grund hätte, seine angeblich vorhandenen Zusatzkapazitäten nicht auch zu nutzen, um damit den Preis – wie früher oftmals geschehen – auf einem weltwirtschaftlich verträglichen Niveau zu halten.

Mit Vorsicht zu genießen sind auch die „freiwilligen Produktionsbeschränkungen“, die von der OPEC im Herbst 2006 verkündet wurden, angeblich aus Gründen der „Preisstützung“: Im Falle der Saudis ist für diesen Zeitraum bei den gemeldeten Förderzahlen kein auffällig stärkerer Rückgang zu erkennen, und laut aktuellen Zahlen der in Paris ansässigen International Energy Agency (IEA) ist die gesamte OPEC-Förderung weiter zurückgegangen, obwohl der extrem kalte Frühling in den USA zu erhöhtem Bedarf geführt hat. Die IEA hat sogar eine Warnmeldung ausgegeben, weil momentan in den OECD-Verbraucherländern die Lagervorräte abnehmen, die normalerweise in den nach Ende des Winters rasch wieder aufgefüllt werden, um dem erhöhten Treibstoffverbrauch im Sommer vorzubeugen. Kommentatoren befürchten inzwischen, dass der Ölpreis in ein paar Monaten noch weiter in die Höhe schnellt.

Warum sieht die OPEC überhaupt die Notwendigkeit, den Barrel-Preis über 50 Dollar zu halten, wenn vor nur drei Jahren, als der Barrel-Preis bei 35 Dollar lag, alles getan wurde, um ihn in das „Preisband von 22 bis 28 Dollar“ zurückzuholen? Ein unlängst erschienener Bericht von McKinsey Quarterly, dem Informationsdienst des Consulting-Riesen, beleuchtet die wahrscheinlichen Hintergründe der geänderten Preispolitik: Da in allen Golfstaaten entgegen den offiziellen Verlautbarungen eben doch ein Ende der Erdölvorräte – und damit des mühelosen Geldscheffelns – abzusehen ist, die gesamte Region aber von hoher Arbeitslosigkeit, aufgeblähten Staatsbürokratien und mangelnder wirtschaftlicher Diversifizierung geplagt wird, ist es in strategischer Hinsicht jetzt sinnvoller, den Ölpreis kurz- und mittelfristig hochzuhalten, um die Gewinne zu maximieren und die damit erwirtschafteten Mittel in den langfristigen Umbau der volkswirtschaftlichen Basis weg von fossilen Energieträgern zu investieren. Damit haben Saudi-Arabien und die anderen Golfanrainer mehr oder weniger ihr seit den Tagen Ronald Reagans geltendes Gentleman's Agreement mit den USA gekündigt und das Zeitalter des billigen Öls beendet.

Fernab vom Nahen Osten beweist Cantarell, das von Mexiko betriebene größte marine Ölfeld der Welt, dass verbesserte Fördermethoden nicht nur zu einer Erhöhung der Fördermenge, sondern auch zu einer schnelleren Erschöpfung der Felder führen, zeigte es doch statt des für 2006 vorhergesagten Förderrückgangs von sechs Prozent eine tatsächliche Abnahme um satte 25 Prozent. Wegen des zurückgehenden Eigendrucks wird dort seit einigen Jahren (mit deutscher Technik) Stickstoff eingepresst, was kurzfristig eine Verdopplung der Fördermenge ermöglichte, jetzt aber offenbar ein umso stärkeres Absinken zur Folge hat. Auch die Fördermenge in der Nordsee zeigt ein schnelleres Absinken als erwartet (2006 um 9 Prozent), und das zweitgrößte Ölfeld der Welt, Burgan in Kuwait, produziert mittlerweile 15 Prozent unter den langfristig erwarteten Zahlen, sodass man insgesamt befürchten muss, dass die älteren „Elefantenfelder“ in den nächsten Jahren schneller ihrer Erschöpfung entgegen eilen werden als von optimistischen Branchenprognosen erwartet.

Für die Welt sind dies schlechte Nachrichten: Falls in den nächsten Jahren kein dramatischer Umschwung bei den Produktionszahlen mehr auftritt und den Trend wieder umkehrt (und nichts deutet darauf hin als das Wunschdenken von Ölmanagern und Milchmädchen-Ökonomen), dann haben wir das globale Fördermaximum für Erdöl bereits überschritten und müssen uns für die nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht auf ein sofortiges Versiegen, aber doch auf eine immer stärkere Verknappung dieses „Schmiermittels der Weltkonjunktur“ einstellen.

Deutschland im Tiefschlaf

In der englischsprachigen Welt gibt es inzwischen eine vollkommen neue Umweltbewegung, die sich neben den „klassischen“ Themen wie Klimawandel, zunehmender Bodenerosion oder dem Verschwinden der Regenwälder zunehmend auf die erwarteten Auswirkungen des Ölfördermaximums konzentriert. Autoren wie Kunstler oder Heinberg reden hartnäckig gegen das öffentliche Desinteresse an, und gerade in den USA mit ihrer Infrastruktur aus endlos zersiedelten Vorstädten, Gewerbegebieten und Shopping-Malls, deren Weiterbestehen ohne billiges Öl gar nicht vorstellbar ist, finden sie damit inzwischen erstaunlich viel Gehör. Ihre Bücher sind Bestseller, und eine Vielzahl von Blogs und Newsfeeds wie Energy Bulletin, Casaubon's Book, The Oil Drum, Peakoil News & Message Boards, Global Public Media, Anthropik, Resource Insights oder Life after The Oil Crash beschäftigt sich mit den Folgen der kommenden Ölknappheit. Aber auch in Großbritannien ist der Widerhall relativ groß: Im Rahmen des „Transition Town Movement“ proben einzelne Städte bereits den Übergang in eine postfossile, „relokalisierte“ Wirtschaft, und mit der „Soil Association“ hat die erste europäische Biolandwirtschaftsorganisation das Ölfördermaximum zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.

In Deutschland bleiben Öffentlichkeit und Politik derweil auf Tauchstation: Obwohl auch das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover das Fördermaximum „zwischen 2015 und 2020“ ansiedelt, einzelne Bücher von Heinberg und Campell übersetzt wurden, und vor kurzem Bestsellerautor Andreas Eschbach mit „Ausgebrannt“ (Rezensionen hier oder hier) eine Thriller-Version des Themas auf den Markt gebracht hat, träumt man hierzulande immer noch vom zukünftigen Wasserstoff-Utopia, schwört auf die sowjetische Theorie der „abiotischen Ölentstehung“ oder hofft auf die freie Fahrt für freie Bürger mit Biodiesel oder Flüssigkohle. Noch schlimmer die Energiewirtschaft: Wieviel warmes Wasser ist noch im Hahn? fragt uns etwa der Stromkonzern E.ON und verspricht uns im selben Atemzug das Perpetuum Mobile: „Energie für immer. Und jeden Tag“ – wahrscheinlich glauben die Verantwortlichen selbst daran. Ein kürzlich in der Financial Times Deutschland erschienener Artikel ist ein Paradebeispiel für die verbreitete Ahnungslosigkeit: Der Autor reduziert die komplexe Frage des Fördermaximums auf ein baldiges „Versiegen“ (Unfug), er glaubt, Leute wie Campbell und Simmons würden nur „Panikmache“ betreiben, weil der Ölpreis letzten Sommer so hoch war (heilige Einfalt!), dass Hubbert mit dem US-Maximum recht behielt, erwähnt er zur Sicherheit gar nicht, und mit den geologischen Grundlagen hat er erst recht nichts am Hut. Das mit der statischen Reichweite von 40 Jahren muss ja langen.

Dabei lautet die entscheidende Frage eben nicht, wie viele Ölreserven noch da sind, und sei es im grönländischen Eis, im Tiefseeboden, in Ölsand- und Ölschiefervorkommen, in Form von verflüssigten Kohle- und Erdgasvorräten oder als ständig in der Erdkruste neu entstehende „abiotische“ Kohlenwasserstoffe. Wesentlich ist vielmehr, wie schnell und zu welchem Preis man diese Reserven bzw. Neubildungen ausbeuten kann, um damit den Rückgang der konventionellen Förderung auszugleichen und dem steigenden Bedarf in Ländern wie Indien oder China zu begegnen. Aus den kanadischen Ölsanden wird derzeit beispielsweise circa ein Megabarrel synthetisches Öl pro Tag erzeugt, bis 2020 erwarten Optimisten einen Anstieg auf um die drei Megabarrel pro Tag (die Produktion ist unter anderem durch die verfügbare Wassermenge begrenzt). Zum Vergleich: Die oben erwähnten Elefantenfelder Burgan und Cantarell produzierten auf ihrem Gipfelpunkt jeweils um die zwei Megabarrel pro Tag; wenn ihr Förderrückgang mit dem bisherigen Tempo weitergeht, werden sie 2020 nur noch so wenig Öl liefern, dass der Anstieg bei den Ölsanden nicht einmal diesen Verlust ausgleichen kann. Da dies in Bezug auf die Gesamtförderung für alle anderen „exotischen“ Arten der Ölgewinnung wegen des enormen Kapitalaufwands, der langen Vorlaufzeiten für Investitionen und der extremen technischen Anforderungen ebenso gilt, sollte man von dieser Seite keine Wunder erwarten. Wenn die Welt-Förderkurve langsam auf ihre absteigende Seite wechselt, werden die Ölingenieure und Geologen alles versuchen, auch noch den letzten Tropfen aus den vorhandenen Reservoiren zu pressen und so viele neue Quellen wie möglich zu erschließen, aber letztendlich wird das nur zu einer Verzögerung des Rückgangs führen, nicht zu einem erneuten Anstieg.

Konvergierende Dilemmata

Die Gefahr bei den möglichen Reaktionen auf eine weltweit zurückgehende Ölförderung – und damit schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Angstthema Erderwärmung – liegt in der potenziell klimaschädlichen Wirkung synthetischer Kohlenwasserstoffe, die jene des konventionellen Öls oftmals weit übertrifft. So sind etwa für die Umwandlung von Ölsanden in „Ölersatz“ enorme Mengen an Wasser und Hitze erforderlich, die bei den Vorkommen in der kanadischen Provinz Alberta aus den örtlichen Trinkwasservorräten und Erdgasquellen gewonnen werden. Die vier Barrel Abwässer pro Barrel gewonnenem Treibstoff verseuchen die borealen Ökosysteme, aber noch weitaus schlimmer sind die 90 bis 160 Kilogramm Kohlendioxid, die beim Produktionsprozess pro Tonne anfallen – noch zusätzlich zu den 400 Kilogramm Treibhausgas, die bei der Verbrennung des Treibstoffs ohnehin entstehen. Bei der Kohleverflüssigung ist es noch schlimmer: Pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs sind zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich, und die zweite Tonne endet letzlich ohne weiteren Nutzen als „Extra-Kohlendioxid“. Je mehr Öl wir aus qualitativ minderwertigen Ausgangsstoffen oder durch synthetische Prozesse erzeugen, desto mehr zusätzliches Treibhausgas fällt dabei an.

Die entsprechenden technischen Großprojekte sind nicht etwa Zukunftsmusik, sondern befinden sich bereits in der Planungs- oder sogar Umsetzungsphase. Der südafrikanische Sasol-Konzern wird beispielsweise 2007 zwei Pilotanlagen für die Kohleverflüssigung in China errichten, außerdem gibt es entsprechende Planungen für den US-Bundesstaat Montana und für Indien. In Venezuela und Kanada geht man derweil mit Hochdruck daran, die Ausbeutung der Schweröl- und Ölsandvorkommen zu forcieren. Kanada hat wegen der Ölsandgewinnung nicht nur seine Kyoto-Reduzierungsziele nicht erreicht, die nationale Kohlendioxidemissionen sind sogar seit 1990 um 27 % gestiegen. Nicht zu vergessen die Stromerzeugung: In den USA gibt es bereits Planungen, die Kraftwerke, die dort hauptsächlich mit Erdgas betrieben werden, wegen der hohen Preise (der Erdgas-Hauptlieferant Kanada hat Lieferprobleme wegen des steigenden Eigenbedarfs für die Ölsandgewinnung) wieder auf Kohle umzurüsten.

Das auch „Bio“-Treibstoffe das Problem letztendlich nicht lösen können, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Zunächst einmal muss auch für die Herstellung von beispielsweise einem Liter Biodiesel über ein halber Liter Treibstoff zusätzlich verbrannt werden und erzeugt weiterhin Kohlendioxid, das nicht vorher in der Biomasse gespeichert wurde. Außerdem ließen sich ohnehin nur wenige Prozent des Weltverbrauchs an flüssigen Kohlenwasserstoffen durch Energiepflanzen ersetzen, weil der Wirkungsgrad der Umsetzung von Sonnenenergie über Pflanzenzucker in synthetische Kohlenwasserstoffe (der Erntefaktor“) wegen der geringen Energiedichte des Ausgangsstoffs außerhalb der Tropen extrem gering ist und auf der ohnehin überbevölkerten Erde bei weitem nicht genügend Anbauflächen vorhanden sind, auf denen man Energiepflanzen ziehen könnte, ohne die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Auch auf hier sind die ersten Anzeichen einer Krise nicht zu übersehen: Im Februar kam es Mexiko zu den sogenannten „Tortilla-Unruhen“, die von vielen deutschen Medien mit der üblichen Überheblichkeit unter der Rubrik Sombrero-Folklore abgehandelt wurden, dabei handelte es sich in Wirklich um eine Reaktion auf die zunehmende Produktion von Äthanol aus Mais. Seit der Einrichtung der Freihandelszone NAFTA ist Mexiko abhängig von US-amerikanischen Maisimporten (die hochsubventionierten US-Farmer produzieren billiger als mexikanische Kleinbauern), derzeit gehen aber bereits ein Fünftel der Maisernte in den Staaten in die Äthanolproduktion, sodass bei verknapptem Angebot die Preise steigen und die Ärmsten der Armen sich kein Maismehl mehr leisten können. (Näheres dazu siehe auch hier.)

Fünf nach zwölf?

In einem 2005 für das US-Energieministerium erstellten Bericht über die Folgen des Ölfördermaximums (dem bekannten „Hirsch-Report“) heißt es: „Wenn mit einem Crash-Programm zur Bekämpfung des Ölfördermaximums gewartet wird, bis das Maximum erreicht ist, würde dies bedeuten, dass die Welt zwei Jahrzehnte lang unter einen erheblichen Mangel an Flüssigtreibstoffen zu leiden hätte. Wird das Crash-Programm 10 Jahre vor Erreichen des Maximums initiiert, wären immer noch zehn Jahre Treibstoffmangel zu erwarten. Beginnt man mit dem Crash-Programm 20 Jahre vor dem Maximum, scheint es möglich sein, Ausfälle der Flüssigtreibstoffversorgung für den Prognosezeitraum zu vermeiden. [...] Falls die Gegenmaßnahmen nicht ausreichend sind bzw. zu spät kommen, würde sich ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage durch massiven Nachfragewegfall (Verknappung) einstellen, mit anderen Worten, es käme zu erheblicher wirtschaftlicher Not.“

Da ein derartiges Crash-Programm in den derzeitigen Regierungen der Welt nicht einmal angedacht ist, müssen wir weiterhin hoffen, dass die aktuellen Daten zur Welt-Ölförderung nur kurzfristige Schwankungen wiedergeben, keine langfristigen Trends. Andernfalls sind zwanzig Jahre Knappheit an flüssigen Treibstoffen noch das kleinste der Übel, das uns erwartet.

Dienstag, 6. März 2007

Der Teufel dreht den Hahn ab, Beelzebub heizt ein

Die Welt in der Klemme zwischen abnehmenden Ölreserven und globaler Erwärmung


Zwei Nachrichten verbreiteten sich Ende vergangener Woche über die weltweiten Medienkanäle, die man in einigen Jahren vermutlich mit Fug und Recht als historisch bezeichnen wird: Zum einen veröffentlichte – unter größter Anteilnahme der Öffentlichkeit – der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen der Klimaänderung (IPCC) seinen lange erwarteten vierten Bericht über den aktuellen Wissensstand bezüglich des menschengemachten Treibhauseffekt. Die neuen Daten sind um einiges pessimistischer als die des letzten IPCC-Berichts von 2001, und es scheint, dass wir uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine globale Erwärmung von um die 3 Grad Celsius und einen Anstieg des Meeresspiegels von etwa einem halben Meter einzustellen haben.

Einige Wissenschaftler, wie James Lovelock, der Erfinder der „Gaia-Hypothese“, gehen sogar noch weiter und phrophezeien ein bald bevorstehendes, sprunghaftes Hochdrehen der irdischen Klimamaschine durch Rückkopplungseffekte wie die Freisetzung des im arktischen Permafrostboden gebundenen Methans und das Abschmelzen des arktischen Eises. Nach dem daraus folgenden, katastrophischen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter wären nur noch die subarktischen und kühlen Zonen für Menschen bewohnbar, und wir müssten mit einem ungeheueren, nicht vorstellbaren Massensterben rechnen.

Mit wesentlich weniger Echo in den konventionellen Medien, dafür umso größerem Widerhall in der Blogosphäre, verkündete der texanische Öl-Investmentbanker und Branchenguru Matthew Simmons in einem Beitrag für den Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg (Video auf Youtube verfügbar), dass die Welt offenbar das von vielen Geologen vorhergesagte absolute Fördermaximum für konventionelles Öl bereits erreicht hat. Die höchste jemals erzielte Produktionszahl waren gut 74 Megabarrel pro Tag im Mai 2005, seitdem tändelt die Förderhöhe um 73,5 Gigabarrell herum, obwohl weder eine Wirtschaftskrise noch ein größerer militärischer Konflikt oder Terroranschlag für das fehlende Wachstum verantwortlich gemacht werden können.

Falls Simmons (und andere „Peak Oilers“ wie Kenneth S. Deffeyes oder Colin Campell) recht haben, hat das weiterhin zu erwartende Absinken der Fördermenge gravierendste Folgen für die Zukunft der Industriegesellschaft: Es gibt keinen Bereich unseres täglichen Lebens, in dem wir nicht in irgendeiner Form Erdölderivate nutzen, seien es die Plastiktüte an der Supermarktkasse, der Tiger im Tank, die Pillen gegen Bluthochdruck oder die Pestizide, mit denen konventionell angebauter Feldsalat von Käfern und Läusen befreit wird. Eine Verknappung des Angebots wird mittelfristig notwendigerweise zu einer massiven Erhöhung der Preise führen, und am Ende droht womöglich weit Schlimmeres als nur Heizölrationierungen und autofreie Sonntage.

Zunächst scheint es, als ob die zweite Nachricht im Vergleich zu den deprimierenden Aussichten der ersten vergleichsweise lindernde Wirkung hat: Wenn wir weniger Öl verbrennen können, gelangt weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre, und der Treibhauseffekt wird gebremst. Wunderbar...! – Unglücklicherweise ist Öl in Wirklichkeit nicht etwa ein wertneutraler „Rohstoff“, sondern die härteste aller Drogen, und Junkies pflegen in der Regel keine durchdachten und weitblickenden Entscheidungen zu treffen. Eher ist eine Reaktion zu erwarten, die auf der gewohnten, rein marktwirtschaftlichen Logik basiert: Wenn konventionelles Öl teuer wird, lohnt es sich zunehmend, unkonventionelle Vorkommen wie Ölschiefer, Ölsande, Tiefseeöl oder Schwerstöl auszubeuten bzw. Biosprit aus Rapsöl, Palmöl, Zuckerrohr oder sonstiger Biomasse zu gewinnen oder sogar an die im „Dritten Reich“ erstmals großindustriell genutzte Technik der Kohleverflüssigung anzuknüpfen, um einen reibungslosen weiteren Betrieb der Familienkutschen, Sportwägelchen und Brummis dieser Welt zu gewährleisten. Wie wahrscheinlich ist es, dass stattdessen alle Welt nur noch Zug fährt und Güter im Wesentlichen von Binnenschiffen transportiert werden? Die Antwort wissen Sie selbst.

Wenn wir aber dieser marktwirtschaftlichen Beelzebub-Logik folgen, werden Kyoto- und sonstige Protokolle endgültig zur Lachnummer: Für die Umwandlung von Ölsanden in synthetische Kohlenwasserstoffe beispielsweise sind enorme Mengen an Wasser und Hitze erforderlich, die etwa bei den Vorkommen in der kanadische Provinz Alberta aus den örtlichen Trinkwasservorräten und Erdgasquellen gewonnen werden. Die vier Barrel Abwässer pro Barrel gewonnenem Treibstoff verseuchen die borealen Ökosysteme, aber noch weitaus schlimmer sind die 90 bis 160 Kilogramm Kohlendioxid, die beim Produktionsprozess pro Tonne anfallen – noch zusätzlich zu den 400 Kilogramm Treibhausgas, die bei der Verbrennung des Treibstoffs ohnehin entstehen! Bei der Kohleverflüssigung sieht es noch düsterer aus: Pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs sind zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich, und die zweite Tonne endet letzlich ohne weiteren Nutzen als „Extra-Kohlendioxid“. Je mehr Öl wir aus qualitativ minderwertigen Ausgangsstoffen oder durch synthetische Prozesse erzeugen, desto mehr zusätzliches Treibhausgas fällt dabei an.

Sie bezweifeln, dass man im großen Maßstab auf derartige vorsintflutliche Dreckschleuder-Techniken zurückgreifen wird? Man ist längst dabei. Der südafrikanische Sasol-Konzern, der in den langen Jahrzehnten der Apartheid durch Kohlehydrierungsanlagen nach Nazi-Vorbild für eine verlässliche Kraftstoffversorgung des Burenstaats sorgte, wird in diesem Jahr zwei Pilotanlagen in China errichten, außerdem gibt es entsprechende Planungen für den US-Bundesstaat Montana und für Indien. In Venezuela und Kanada ist man derweil mit Volldampf dabei, die Ausbeutung der Schweröl- und Ölsandvorkommen anzugehen. Kanada hat wegen der Ölsandgewinnung nicht nur seine Kyoto-Reduzierungsziele nicht erreicht, die nationale Kohlendioxidemissionen sind sogar seit 1990 um 27 % gestiegen!

Und vergessen wir nicht die Stromerzeugung: In den USA gibt es bereits Planungen, die Kraftwerke, die dort hauptsächlich mit Erdgas betrieben werden, wegen der hohen Preise (der Hauptlieferant Kanada hat Lieferprobleme wegen des steigenden Eigenbedarfs, siehe oben, Ölsande) wieder auf Kohle umzurüsten. Und in China werden ungefähr ein bis zwei kleine, regionale Kohlekraftwerke pro Woche gebaut, um mit Uralttechnik den steigenden Stromhunger der Fabriken, aus denen unsere billigen Haartrockner stammen, zu befriedigen. Sogar in Deutschland gibt es konkrete neue Projekte für die Klimaanheizer, beispielsweise in Hamburg und Bremen. Ob man das von diesen Kraftwerken erzeugte Kohlendioxid jemals per „Sequestrierung“ unteriridisch speichern können wird, steht vollkommen in den Sternen – ganz davon abgesehen, dass wir damit neben der Endlagerung des Atommülls eine weitere Wette auf die ferne Zukunft eingehen würden, deren Ausgang vollkommen unsicher ist. Wer weiß denn, ob das Treibhausgas nicht innerhalb langer Zeiträume aus den Speichern wieder ausdiffundiert und seine Klimawirkung locker bis ins nächste Jahrtausend hinein fortsetzt?

Auch das Potenzial von Biotreibstoffen wird weit überschätzt: Zunächst einmal muss auch für die Herstellung eines Liters Biodiesel über ein halber Liter Treibstoff zusätzlich verbrannt werden und erzeugt weiterhin Kohlendioxid, das nicht vorher in der Biomasse gespeichert wurde. Außerdem ließen sich ohnehin nur wenige Prozent unseres Verbrauchs an flüssigen Kohlenwasserstoffen durch Energiepflanzen ersetzen, weil der Wirkungsgrad der Umsetzung von Sonnenenergie über Pflanzenzucker in synthetische Kohlenwasserstoffe (der Erntefaktor“) außerhalb der Tropen extrem gering ist und auf der ohnehin überbevölkerten Erde bei weitem nicht genügend Anbauflächen vorhanden sind, auf denen man Energiepflanzen ziehen könnte, ohne die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Auch auf diesem Weg sind wir schon weiter, als die meisten von uns ahnen: Letzten Monat kam es Mexiko zu den sogenannten „Tortilla-Unruhen“, die von vielen deutschen Medien mit der üblichen Überheblichkeit unter der Rubrik Sombrero-Folklore abgehandelt wurden, dabei handelte es sich in Wirklich um eine Reaktion auf die zunehmende Produktion von Äthanol aus Mais. Seit der Einrichtung der Freihandelszone NAFTA ist Mexiko abhängig von US-amerikanischen Maisimporten (die hochsubventionierten Yanqui-Farmer produzieren billiger als mexikanische Kleinbauern), derzeit gehen aber bereits ein Fünftel der Maisernte in den Staaten in die Äthanolproduktion, sodass bei verknapptem Angebot selbstverständlich die Preise steigen und die Leute aus den Barrios sich kein Maismehl mehr leisten können. Da gleichzeitig auch noch Cantarell, das vor der mexikanischen Küste liegende größte Offshore-Ölfeld, der Welt, statt des für 2006 vorhergesagten Förderrückgangs von sechs Prozent eine tatsächliche Abnahme um satte 25 Prozent zeigte und die mexikanische Öleinnahmen hauptsächlich zur Finanzierung des Staatshaushalts verwendet werden, dürfte hier in Kürze nach Argentinien der nächste Zusammenbruch einer Volkswirtschaft zu erwarten sein.

Derzeit beherrscht der Klimawandel die Schlagzeilen. Wenn wir es ernst meinen mit seiner Bekämpfung, müssen wir uns gleichzeitig um den Rückgang der fossilen Rohstoffe kümmern und endlich einsehen, dass unsere Industriegesellschaft in ihrer derzeiten Form nicht mehr zu retten ist. Wir müssen weltweit hin zu kleinräumigen Siedlungsstrukturen, regionalen Wirtschaftkreisläufen, funktionsfähigen künstlichen Ökosystemen zur Nahrungsmittelerzeugung, einem drastisch reduzierten Energieverbrauch und einem Rückgang der Bevölkerungszahl. Gelingt uns dies nicht, geraten wir immer weiter in die Klemme aus abnehmender Ölförderung und Treibhauseffekt, aus der uns irgendwann nur noch ein globaler Kollaps befreien wird.



(Dieser Post erschien auch unter dem Titel "Die Welt in der Klemme" leicht redaktionell verändert in der Readers Edition.)