Mittwoch, 18. Juli 2007

Auf dem Gipfel

Heute morgen bin ich in die Stadt gefahren. Es sind nur sieben Kilometer, aber wenn ich das Fahrrad nehme, kriege ich die Regalbretter nicht mit, die ich noch für das Büro brauche. Außerdem kann ich dann gleich noch beim Supermarkt vorbeifahren und die restliche Ladefläche unseres alten Kombis mit Bionadekisten, Müslipackungen und Milchcontainern vollpacken. Wirkliche Alternativen dazu gibt es nicht – der öffentliche Nahverkehr besteht hier in der Gegend hauptsächlich aus Schulbussen, und es gibt kaum noch Ladengeschäfte in den Dörfern.

Hin und zurück verbraucht das Auto anderthalb Liter Super, die mich zur Zeit gut zwei Euro kosten. (Erinnern Sie sich noch an den Spruch: „Allah ist mächtig, Allah ist stark. Der Liter Benzin kostet bald zwei Mark“...?) Viele Leute stöhnen wegen der Benzinpreise, die so hoch sind wie nie zuvor, aber wenn man sich den dafür erhaltenen Gegenwert vor Augen hält, macht man eigentlich immer noch ein ganz gutes Geschäft: Ein Liter Super enthält ungefähr 9 Kilowattstunden Energie, ich benötige also 13,5 Kilowattstunden für meine Fahrt, vielleicht 14, weil ich auf dem Rückweg schwerer beladen bin. Nehmen wir an, mein Auto müsste von Menschen gezogen werden, die gut trainiert sind und durchschnittlich etwa 200 Watt Ausdauerleistung bringen. Wenn ich den Weg wie gewohnt innerhalb von 20 Minuten zurücklegen möchte, müssten dementsprechend zum Erreichen derselben 14 Kilowattstunden nicht weniger als 210 muskelbepackte, schweißtriefende Sklaven den ollen Benz im Sprinttempo über die norddeutsche Tiefebene ziehen. Selbst wenn ich Pferde davor spanne (die als kurzfristige Spitzenleistung tatsächlich 12 bis 15 „PS“ bringen), bräuchte ich immer noch 4 bis 5 davon – die ich allerdings nach dieser enormen Anstrengung zum Abdecker geben könnte. Ich hätte natürlich auch die Möglicheit, einen Leiterwagen zu nehmen und gemütlich zu Fuß durch die Feldmark zu spazieren, aber dann würde ich den ganzen Tag mit Einkaufen verplempern. Die zwei Euro für den Sprit sind also ganz gut angelegt.

Wieso kann ich mir diese Massen an Arbeitskraft, von denen selbst antike orientalische Despoten nur träumen konnten, so selbstverständlich und mühelos leisten? Ich zapfe einfach ein Sparkonto an, in dem vor ziemlich langer Zeit eine enorme Menge Sonnenlicht eingefangen, in Form absterbender Algen und Planktontierchen angelegt und als Erdöl und Erdgas in den einbruchssicheren Banktresor der irdischen Gesteinshülle eingelagert wurde. Wenn man der Mehrheitsmeinung der Geologen Glauben schenken darf, geschah dies in einer Zeit großer Erderwärmung, die zu einer ebenso großen Produktion von Biomasse führte, für deren normale Zersetzung in flachen Meereslagunen nicht mehr genügend Sauerstoff vorhanden war. Spätere Überschichtungen, ein langsames Einköcheln und Verflüssigen in den tieferen Erdschichten sowie der Wiederaufstieg in Oberflächennähe haben schließlich zu den Depots geführt, aus denen heute Shell, Yukos & Co. das vermeintliche „Steinöl“ mit (im Vergleich zum Energiegehalt) minimalem Arbeitsaufwand nach oben pumpen und in ihren Raffinierien unter anderem zu Superbenzin verarbeiten. Mein Auto fährt also in Wirklichkeit mit prähistorischem Sonnenlicht – in ungeheuer konzentrierter Form.

Wie hoch diese Konzentration tatsächlich ist, lässt sich mit ein paar überschlägigen Zahlen verdeutlichen: Der weltweite Primärenergieverbrauch betrug 2004 ungefähr 363 Exajoule (Exa = 18 Nullen), davon gut 300 Exajoule in Form von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle (letztere besteht ja in analoger Weise aus urzeitlichen Farnwäldern). Diese Zahl ist etwas unhandlich, aber stellen wir uns vor, wir wollten zum Vergleich die 164 Milliarden Tonnen Biomasse, die jedes Jahr auf der Erde von den Pflanzen neu gebildet werden, nicht zum Essen, Anziehen oder Häuserbauen verwenden (bzw. den Tieren überlassen), sondern vollständig verbrennen – bei einem Durchschnittsheizwert von 12 Megajoule pro Kilogramm ergäbe das knapp 2000 Exajoule. Mit anderen Worten: Wir verheizen ungefähr alle 7 Jahre eine zusätzliche globale Jahresproduktion an Biomasse, die in Form von fossilen Rohstoffen in der Erdkruste gespeichert ist. Was das für den globalen Kohlenstoffkreislauf und den Treibhauseffekt bedeutet, ist ja inzwischen allgemein bekannt, aber wie sieht es mit dem aktuellen Kontostand des unterirdischen Speichers aus? Ein Sparkonto, das keine Zinsen trägt und auf das man nie etwas einzahlt, von dem man aber dauernd abhebt, ist irgendwann unweigerlich leer, auch wenn man es anfangs mit einer Summe zu tun hatte, für die nicht einmal Dagobert Ducks Fantastillionen fassender Geldspeicher ausreichen würde.

Lassen wir Kohle und Erdgas beseite, und konzentrieren wir uns auf den wichtigsten Teil dieses über Jahrmillionen angewachsenen Vermögens, das wir lachende Erben derzeit mit vollen Händen ausgeben: das Erdöl. Allgemeiner Konsens ist, dass seit dem Beginn des Ölzeitalters in den 1860ern weltweit knapp 1100 Gigabarrel konventionelles Öl gefördert wurden und noch mindestens weitere 1000 bis 1200 Gigabarrel als erwiesene Reserven vorhanden sind. Dazu kommen noch zu entdeckende Vorkommen, außerdem flüssige, erdölähnliche Kohlenwasserstoffe, die bei der Erdgasgewinnung anfallen oder durch Erhitzen von Ölschiefern, Ölsanden und Schwerstölen sowie aus der Kohleverflüssigung gewonnen werden. Je nachdem, wie hoch man die Schätzwerte für diese „möglichen“ und „nicht-konventionellen“ Reserven ansetzt und wie schnell die für ihre Gewinnung erforderliche technische Infrastruktur eingerichtet werden kann, ergeben sich unterschiedliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Weltversorgung mit Öl.

Die Optimisten, zu denen die meisten leitenden Ölmanager, die Verfasser des einflussreichen BP-Weltenergieberichts und vor allem der „Ölpapst“ Daniel Yergin mit seiner Consulting-Firma CERA gehören, glauben an die Existenz großer, noch unentdeckter Reservenpotentiale, und sie vertrauen beinahe blind auf den Marktanreiz höherer Ölpreise, der ihrer Meinung nach dazu führen wird, dass schwer zugängliche und technisch anspruchsvolle Vorkommen so schnell erschlossen werden, dass die Fördermenge weiter ansteigt und damit ein weiteres Wachstum der Weltwirtschaft möglich ist. Laut dieser Sichtweise sind noch beinahe 4000 Gigabarrel Reserven vorhanden, es besteht also kein Anlass zur Sorge, und erst für die Jahre um 2045 haben wir mit einem „wellenförmigen Plateau“ zu rechnen, bevor die Welt-Förderkurve langsam wieder absinkt. Bis dahin, so die Hoffnung, funktioniert dann die Kernfusion, oder das Solarzeitalter ist ausgebrochen.

Dem irischen Erdöl-Geologen Colin Campbell, einem der wichtigsten Protagonisten der „Peak-Oil-Bewegung“, zufolge gleicht die Gesamtmenge an Erdöl in der Erdkruste dagegen einem großen Glas Bier: Die ersten Schlucke gelingen mühelos, man muss das Glas nur leicht neigen, um an seinen Inhalt zu kommen, und die Qualität ist exzellent – frisch und schaumgekrönt. Je leerer aber das Glas wird, desto mehr Energie muss man aufwenden, um es beim Trinken anzuheben, und desto schlechter wird die Qualität des Inhalts. Am Ende muss man schließlich das Glas beinahe ganz umstürzen, um an den schalen, schaumlosen Rest zu gelangen. Entsprechend findet man bei der Erdölexploration zuerst die „leichten“, größeren Felder, die man nur anpieksen muss, um schwarzes Gold in allerbester, schwefelfreier Qualität sprudeln zu lassen. (James Dean!!! „Giganten“!!!) Mit der Zeit wird es dann immer schwieriger, neue Quellen zu finden, die technischen Anforderungen wachsen ebenso wie der für die Förderung notwendige Energieaufwand, und am Ende gibt es nur noch eine zähflüssige, schweflige Brühe in winzigen Feldern, deren Ausbeutung Unsummen verschlingt, weil man an die Grenzen der Technik gehen und dazu noch diverse vor Ort agierende Bürgerkriegsparteien bestechen muss. Irgendwo dazwischen liegt der sogenannte „depletion midpoint“, der Punkt, an dem die einfach zu erschließende Hälfte gefördert ist und die Förderrate aufgrund technischer, finanzieller, politischer und geologischer Beschränkungen nicht mehr gesteigert werden kann. Und von da an geht es abwärts.

Mathematisch formalisiert wurde dieser Gedanke schon vor einigen Jahrzehnten von dem US-Geophysiker M. King Hubbert, der Ende der 1950er Jahre korrekt – und unter den heftigsten Schmähungen seiner Kollegen und Arbeitgeber in der Ölindustrie – das Erdöl-Fördermaximum für die kontinentalen Kernstaaten der USA auf das Jahr 1971 datierte. Seitdem sinkt die Fördermenge des einstmals größten Erölproduzenten der Welt trotz aller Anstregungen einer fortschrittsverliebten Hightech-Volkswirtschaft (und sogar trotz der Ölfunde in Alaska!) kontinuierlich ab und hat zu dem allseits bekannten symbiotischen Verhältnis Washingtons mit den arabischen Feudalaristokratien geführt. Hubbert prognostizierte auch ein weltweites Fördermaximum für das Jahr 2000, das offensichtlich nicht eingetreten ist – allerdings machte er diese Vorhersage 1969, also vor den großen Ölschocks und Wirtschaftskrisen der 1970er, die einen beträchtlichen Nachfragerückgang und anschließend zumindest teilweise erfolgreiche Bemühungen um eine effizientere Verwendung des Erdöls nach sich zogen. Wenn man diesen Faktor einberechnet, verschiebt sich der Zeitpunkt des weltweiten „Hubbert-Peak“ um ungefähr fünf bis zehn Jahre. Mit anderen Worten: Wir wären mitten drin.

Sind wir das? Es lässt sich nicht auschließen. Die Weltförderung von Rohöl einschließlich Erdgaskondensat hat im Mai 2005 mit 74,27 Megabarrel pro Tag ihren bisherigen Höhepunkt erreicht, seitdem tändelt die Fördermenge um 73 bis 74 Megabarrel pro Tag herum, ohne dass dafür eine stagnierende Weltwirtschaft verantwortlich gemacht werden könnte. Wichtige Erdöl-Exportnationen haben offensichtlich ihren Fördergipfel bereits überschritten: Die Produktion in Norwegen nimmt pro Jahr um ca. 7 Prozent ab, das ist wesentlich mehr als noch vor ein paar Jahren erwartet, auch Großbritannien ist seit 2006 wieder Nettoimporteur von Erdöl, und der Rückgang der mexikanischen Förderrate kann nur noch als Absturz bezeichnet werden – die Rebellen der „Revolutionären Volksarmee“ mit ihren Pipeline-Anschlägen wissen genau, wo sie den verhassten Staat, dessen Haushalt zu einem wesentlichen Teil aus Öl- und Erdgaseinnahmen besteht, in seinem Lebensnerv treffen können. Derzeit ruht alle Hoffnung auf der OPEC, die weiterhin behauptet, die Produktion jederzeit bei Bedarf steigern zu können, aber selbst wenn das stimmen sollte, haben die Mitgliedsstaaten offenbar nicht genügend Öl der Qualität „Light Sweet Crude“ im Angebot, den bevorzugten Rohstoff für die Raffinierung von Benzin und Diesel, was in den letzten Monaten zu einer relativ stärkeren Verteuerung von Nordseeöl – das eben diese Eigenschaften aufweist – geführt hat.

Schlechte Zeiten für die Optimisten also. Und Neuentdeckungen in der Größenordnung der sogenannten „Elefanten-Felder“ oder „Super-Giants“ (u. a. Ghawar in Saudi-Arabien, Cantarell in Mexiko oder Burgan in Kuwait), die einen substanziellen Teil der gegenwärtigen Ölförderung liefern, sind seit Jahrzehnten nicht gemacht worden; die letzten waren die Nordsee und der North Slope in Alaska. Neue Fundstätten mittlerer Größenordnung wie das kasachische Kaschagan-Feld (dessen potenzielle Größe inzwischen von 32 auf „9 bis 16“ Gigabarrel zurückgestuft werden musste, also vielleicht ein Fünftel des Welt-Jahresbedarfs) oder das Tiefseefeld Thunder Horse im Golf von Mexiko werden aufgrund von technischen Schwierigkeiten um Jahre später in Produktion gehen als ursprünglich vorgesehen. Die Zahl der Neufunde hat in den 1960ern ihren Höhepunkt erreicht und ist seitdem kontinuierlich gesunken – was man nicht findet, ist aller Wahrscheinlichkeit nach einfach nicht da.

Behindert wird die Erdölförderung aber auch durch politische Umstände: Viele Ölförderländer haben einen neuen Ressourcennationalismus entdeckt, der im diametralem Gegensatz zu der schönen neuen Welt des Freihandels steht, die um 1990 von einigen voreiligen Kommentatoren ausgerufen wurde. Gerade hat die russische Regierung BP und Shell mit Hilfe fingierter Anschuldigungen über angebliche Umweltverstöße gezwungen, ihre Beteiligungen an sibirischen Erdgasfeldern an die staatliche Gazprom zu verkaufen, und Venezuelas umtriebiger Präsident Hugo Chávez hat die Gringos von ConocoPhillips und ExxonMobil mit Verstaatlichungsdrohungen aus dem Land gejagt. Ein weiteres Problem stellen instabile politische und gesellschaftliche Verhältnisse in vielen Förderregionen dar. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Unruhen in Nigeria samt Entführungswelle und Generalstreik, aber wer weiß schon, dass es auch in der „Krisenregion“ Darfur große Ölvorkommen gibt?

Der jüngste Anstieg der Rohölpreise auf knapp unter 80 Dollar pro Barrel hat sogar die Mainstreammedien aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt, und vor kurzem klärte ein Bericht bei Spiegel Online den deutschen Durchschnittsuser darüber auf, dass die in Paris beheimatete Internationale Energieagentur vor einer möglichen Ölkrise warnt, die sich innerhalb von fünf Jahren aufgrund mangelnden Angebots bei steigender Nachfrage einstellen könnte. Es ist beinahe eine Art Gezeitenwende, dass die notorisch optimistisch gesinnte IEA beginnt, sich den harten Realitäten der Geologie zu stellen, aber darüber kann man in Afrika schon heute nur lachen: Da sich die dortigen Volkswirtschaften Rohöl bereits zu den derzeitigen Preisen kaum noch leisten können, ist die Wirtschaft in vielen Ländern südlich der Sahara mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Die Nachrichten sprechen für sich: Treibstoffmangel in Kenia und Gambia, allgemeine Energiekrise in Ghana, Raffinierie in Sambia ohne Rohöl, Schwarzmarkt für Öl heizt Inflation in Simbabwe an (als ob das Land nicht genug Probleme damit hätte, von einem Irren regiert zu werden...), Botswana steigt auf Kohle um, nicht genügend Elektrizität in Uganda und im Senegal (in Afrika wird Elektrizität vor zu einem beträchtlichen Teil durch Dieselgeneratoren erzeugt); selbst das ölreiche Nigeria leidet wegen der Unruhen und nicht ausreichender eigener Raffinieriekapazitäten an Benzinmangel. Kommt alles nicht in den „Tagesthemen“? Dummerweise hören wir von Afrika in unseren Massenmedien immer nur dann, wenn die Zahl der Flüchtlinge auf den Kanaren oder Malta wieder einen neuen Rekordstand erreicht hat – ansonsten befinden wir uns im Paris-Hilton-Modus. Aber wie viele Afrikaner werden es in ein paar Jahren sein, die an den Urlaubsstränden der reichen Nordeuropäer für schlechtes Gewissen sorgen, wenn sich die Situation noch weiter verschlechtert hat, als sie ohnehin schon ist? Und wann kommt der Umschwung vom schlechten Gewissen zum Hass auf die zusätzlichen Esser?

Nicht dass die Krise auf Afrika beschränkt wäre: Der Bogen spannt sich von Argentinien, das letzte Woche Erdgaslieferungen an Chile einstellen musste, um den eigenen Bedarf sicherzustellen, über Nepal, das seine Benzinrechnungen in Indien nicht mehr bezahlen kann, bis hin zu Pakistan, wo die Regierung von Präsident Musharraf zunehmend Straßenunruhen begegnen muss, weil die Elektrizitätsversorgung immer wieder zeitweise zusammenbricht. Wenn in den Fernsehbildern von irgendwo auf der Welt zornige, Fäuste schüttelnde Menschen zu sehen sind, ist das nicht immer und unbedingt auf religiöse Streitigkeiten zurückzuführen. In Wirklichkeit beginnt offenbar an den Rändern unserer Wahrnehmung das, was der US-Autor James Howard Kunstler den „Langen Notstand“ nennt – eine historische Epoche von unabsehbarer Dauer, die von Ressourcenkriegen, Klimakatastrophen und dem schleichenden Zusammenbruch der bisherigen staatlichen Ordnung geprägt sein wird. Wann treten wir, die Europäer, in diese neue Ära ein?

Und was bedeutet das alles für mich? Mein Leben verläuft oberflächlich gesehen relativ „ölarm“, ich arbeite von zu Hause aus über das Internet und muss nicht jeden Tag mit dem Auto ins Büro. Meine letzte Flugreise liegt auch schon ziemlich lange zurück, und ein nicht unbedeutender Anteil unserer Lebensmittel kommt aus dem eigenen Garten oder von Erzeugern aus der unmittelbaren Umgebung. Das Haus haben wir mit Holz, Lehm und Hanf ausgebaut, und nächstes Jahr will ich einen Haufen Hainbuchen pflanzen, die eines Tages in Kopfbewirtschaftung eigenes Brennholz liefern sollen. Andererseits frisst das Einkaufen viel mehr Sprit als früher in der Stadt, der Ölbrenner ist noch zu neu, um ihn zu ersetzen, und die Baumaterialien sind nicht gerade per Pferdekutsche ins Dorf gekommen: Die Ziegelsteine, aus denen der Hof 1941 gebaut wurde, hat man noch im Nachbarort gebrannt; unser Lehmputz dagegen kommt aus Sachsen, der Hanf für die Dachdämmung aus der Uckermarck, die Bodendielen aus Schweden.

Und dann das Internet – trotz aller elektronischen Werbeprospekte, Pornoshops und Heiratsmärkte die fantastischste Erfindung unserer Zivilisation, eine unglaubliche und immer wieder umwerfende Mischung aus der Bibiliothek von Alexandria, der athenischen Volksversammlung und der preußischen Staatspost. Ich könnte hier weder leben noch arbeiten, wenn es das weltweite Computernetz nicht gäbe, dass mir jeden Tag eine virtuelle, weltweit organisierte Agora ins Haus bringt, das Beste der städtischen Kultur, ohne dafür Verkehr, Menschenmassen und Häusergebirge in Kauf nehmen zu müssen. (Nicht dass Sie meinen, ich hätte grundsätzlich etwas gegen Technik...) Und nun vor kurzem diese Meldung: Jede Suchanfrage bei Google soll schätzungsweise soviel Energie verbrauchen, dass eine 11-Watt-Energiesparbirne damit eine Stunde lang leuchten könnte. Wenn ich an die Zahl meiner täglichen beruflichen wie privaten Googeleien denke – genug, um den Ballsaal des Adlons die ganze Nacht erstrahlen zu lassen... Und die Computer, das physische Rückgrat dieses ungeheuren, scheinbar immateriellen Netzwerks? Für die Herstellung jedes einzelnen davon werden (laut WWF) „durchschnittlich 240 Kilogramm fossile Brennstoffe zur Energiegewinnung, 22 Kilo Chemikalien und 1,5 Tonnen Wasser verbraucht“. Und diese Chemikalien haben es in sich: Coltan aus dem Kongo, wo seine Gewinnung die Wildfauna bedroht und Bürgerkriege finanziert; Blei und andere giftige Schwermetalle; bromierte Flammschutzmittel und Weichmacher, die sich in der Nahrungskette anlagern. Das Glitzerding Internet ist nicht denkbar ohne seine unsichtbare Basis aus Kohle- und Atomkraftwerken, Rohstoffminen, Chemiewerken und Industrieanlagen, die alle ordentlich Energie verbrauchen und den Planeten vollmüllen. Wenn diese untrenntbar mit der Nutzung fossiler Rohstoffe verbundene Infrastruktur ihren Input aus prähistorischem Sonnenlicht verliert, ist das Netz mausetot.

Was also tun? Werden mich Biotreibstoffe aus Algen retten? Die Kernfusion? Die Wiederkehr des Brutreaktors? Wasserstoffautos, die mit Sonnenkollektoren in der Sahara getankt werden? Wind- und Gezeitenfarmen in der Nordsee? Gesetzlich vorgeschriebene Energiesparlampen? Hanfplantagen, die man nicht nur wegkiffen, sondern zu Biogas verarbeiten kann? Der „Hirsch-Report“, ein 2005 für das US-Energieministerium erstellter Bericht über die Folgen des Ölfördermaximums, kommt zu dem ernüchterndem Schluss, dass man 20 Jahre vor dessen Auftreten damit beginnen müsste, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um schwerwiegende Folgen und Energieknappheit zu vermeiden. Das hat unter anderem den einfachen Grund, dass eine völlig neue Energieinfrastruktur – woraus auch immer sie bestehen mag – ungeheure Investitionen verschlingen würde, die man von den laufenden Wirtschaftsaktivitäten abzweigen müsste. In einer weiterhin stetig expandierenden Weltwirtschaft wäre das – mit ein wenig Einschränkung – nicht einmal undenkbar, aber wenn die Energiekosten stärker steigen, als die Energieeffizienz verbessert wird, weil der Hubbert-Peak bereits erreicht wurde, ist ein Rückgang der Gesamtwirtschaftsleistung die unausweichliche Folge. Denn dann müssen neue Investitionen mit den Anstrengungen konkurrieren, überhaupt das bisherige Niveau zu halten – ganz elementar bis hin zur Verhinderung von Hungersnöten, weil die gegenwärtige Höhe der landwirtschaftlichen Produktion ohne fossile Rohstoffe für die Düngemittelgewinnung, Pestizidproduktion und den Betrieb der Arbeitsmaschinen nicht aufrechtzuerhalten ist. Jede Regierung der Welt wird bei knapper Ölversorgung planwirtschaftlich dafür sorgen, dass die Bauern weiter ihre Trecker und Mähdrescher fahren können. Ebenso wird man möglichst versuchen, die Verkehrsinfrastruktur, die medizinische Versorgung und ein Mindestmaß an einheimischer industrieller Produktion zu gewährleisten. Ob dann noch Steuergelder für den ITER-Forschungsreaktor übrig sind?

Währenddessen träumt die Menschheit weiter von einer Zukunft in den Sternen, in der wir überlichtschnell durch die Galaxie rasen oder den Mars bepflanzen, um der Zivilisation neue Expansionsmöglichkeiten zu erschließen. Wahrscheinlicher ist, dass wir demnächst wesentlich kleinere Brötchen backen müssen und in diesen Jahren das Maximum dessen erreicht haben, was eine auf fossilen Rohstoffen basierende, nicht-nachhaltige Zivilisation leisten kann. Das heißt sicher nicht, dass langfristig ein grundsätzlicher Wandel unmöglich wäre, aber kurzfristig graut es einem vor dem Weg dorthin.