Mittwoch, 20. Juni 2007

Grünes Rückgrat

Ein kleiner Nachtrag zum letzten Post: Gerade verbreitete Radio Bremen die Meldung, dass die Bremer Grünen nach dem Erfolg der rot-grünen Koalitionsverhandlungen dem Neubau eines Kohlekraftwerks mit jährlich rund fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß im Stadtteil Mittelsbüren nicht mehr grundsätzlich negativ gegenüberstehen. Im Wahlkampf hatten Bremens künftige Mitregierende noch gegen die CO2-Schleuder gewettert, aber nachdem E.ON den Bau jetzt als "Experiment" verkauft, bei dem "zukünftige Techniken" der CO2-Einsparung erprobt werden sollen, haben sie ihr Herz für die Technik entdeckt. Oder ihr Herz für große Dienstwagen? Nachdem Sie sich bereits bei der Ausbaggerung der Unterweser der Position der SPD gebeugt haben, besteht das weitere Parteiprogramm der Grünen in Bremen von nun wohl vornehmlich aus "Hauptsache mitregieren". Soviel zu der Frage, ob die Grünen für den Umweltschutz eintreten.

Montag, 4. Juni 2007

Zurück zu den Graswurzeln

Für eine neue Ökoradikalität

Alle raufen sich die Haare, keiner will's gewesen sein. Mein Gott, die Erde heizt sich auf...! Bangladesh geht unter...! Die Bienen verschwinden...! Biodiesel bringt Orang-Utans um...! Tortilla-Krise in Mexiko wegen US-Äthanolfabriken...! Sinkende Ölförderraten...! Das größte Artensterben seit den Dinosauriern...! Wie konnte das nur geschehen? War das die böse Industrie? Ein Virus aus dem All? Eine geheime Verschwörung von Bilderbergern und Illuminaten? Die fiesen, übergewichtigen Amis mit ihren spritsaufenden SUVs, wie üblich?

Keineswegs. Das waren wir selbst. Wir und unsere mindestens dreißig Jahre alte Weigerung, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Wir und unser alberner Glaube, auf einer endlichen Welt wäre unendliches Wachstum möglich, das man nur ein wenig grün anstreichen muss, um für „Nachhaltigkeit“ zu sorgen. Wir und unsere Mülltrennung, unsere Katalysatorautos, unsere Naturschutzgebiete, unser sanfter Tourismus, unser Dosenpfand, unsere nachwachsenden Rohstoffe, unser DDT-Verbot, unsere Ökosteuer und unser Ausstieg aus der Kernenergie, der am Ende sowieso keiner ist. Wir mit unserer ewigen Halbherzigkeit.

Man kann nicht gerade behaupten, das Thema wäre erst seit gestern auf dem Tisch. 1962, von heute aus betrachtet beinahe schon ein Zeitalter entfernt, erschien Rachel Carsons Klassiker Der stumme Frühling, der den US-Amerikanern zum ersten Mal vor Augen führte, wohin der ungehemmte Einsatz von chemischen Stoffen, die von der Natur nicht vorgesehen sind, für die „Schädlingsbekämpfung“ in der industriellen Landwirtschaft führt. Carsons vehemente Anklage war die Initialzündung für die Entstehung der US-Umweltbewegung, die bald auch auf Europa übergriff, wo sie auf ältere Traditionen wie die Lebensreformbewegung oder die Biologisch-dynamische Landwirtschaft traf und ihnen neues Leben einhauchte. 1971 wurde Greenpeace gegründet, ein Jahr später erschien der nächste Klassiker, Dennis Meadows' Die Grenzen des Wachstums, der den Lesern die Gefahren exponentiellen Wachstums in einer endlichen Welt drastisch vor Augen führte, und noch ein Jahr später erfuhr die westliche Welt, dass es kein Menschenrecht auf eine gesicherte Ölversorgung gibt.

Muss man noch Jimmy Carter erwähnen, der Solarzellen auf das Dach des weißen Hauses montieren ließ und die Global 2000-Studie in Auftrag gab, laut Wikipedia immer noch „die Bibel der modernen Umweltbewegung“? Die Schrecksekunde von Harrisburg? Die Pest von Seveso? Das Jahr der Geigerzähler 1986, als in der Ukraine das passierte, was doch niemals passieren sollte? Das große Robbensterben 1989? Die UN-Klimarahmenkonvention von Rio, die schon vor 15 Jahren deutlich machte, dass eine weitere Erhöhung menschengemachter Treibhausgase den sicheren Weg in die Hölle bedeuten würde? Die Ölpestkatastrophen in Alaska und der Bretagne? Die großen Überschwemmungen, bei denen in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder in Nordamerika und Europa die Flüsse außer Rand und Band gerieten?

Vor bald drei Jahrzehnten führten Ereignisse wie diese dazu, dass manche Leute radikale Fragen stellten und ebenso radikale Antworten gaben. Kritiker wie Carl Amery, Rudolf Bahro, Robert Jungk oder Herbert Gruhl auf der einen, die „Graswurzelrevolution“ oder die Ökosozialisten bei den Grünen auf der anderen Seite hielten sich nicht mit Mülltrennung und Tempolimits auf, sondern stellten die Mechanismen und geistigen Grundlagen der Industriegesellschaft selbst in Frage: Eine Kultur, die auf der zerstörerischen Aneignung ihrer materiellen - notwendigerweise beschränkten - Grundlagen basiert, muss sich irgendwann selbst fressen. Eine Wirtschaftsweise, die nur unter der Voraussetzung unendlichen exponentiellen Wachstums überhaupt einen Sinn ergibt, ist auf Dauer gesehen eine Absurdität. Eine Ideologie, die den Menschen außerhalb der natürlichen Lebenszusammenhänge stellt und ihm ein gottgegebenes Recht zuerteilt, diese Lebenszusammenhänge bedenkenlos zu seinem eigenen Nutzen auszubeuten, macht uns blind dafür, was wir wirklich sind: ein untrennbarer Teil des Ganzen.

Was ist seitdem mit der Umweltbewegung geschehen? Ein Paradebeispiel für den Weg von der überaus berechtigten Fundamentalkritik zum sinnlosen Herumdoktern an Detailfragen und Symptomen sind die Grünen, die heute wenig mehr als eine FDP mit Biodieselantrieb darstellen. Irgendwann Ende der 80er übernahm eine Kamarilla von frustrierten ehemaligen „Linksradikalen“ (die vermutlich auch nur linksradikal waren, weil das in der RAF-Zeit die zukunftssicherste Karrierechance zu sein schien) das Ruder, die von einem gewissen Joseph Fischer aus Frankfurt angeführt wurden und in den Grünen nach deren ersten Wahlerfolgen ihre letzte Chance sahen, nochmal irgendwann im Leben an die Schaltstellen der Macht zu gelangen. Und welch großen Erfolg sie damit hatten! Herr Minister Fischer, Herr Minister Trittin, Herr Staatsminister Volmer, Frau Bundestags-Vizepräsidentin Vollmer, Herr Europaabgeordneter Cohn-Bendit - Stars einer Bewegung, die mit dem Rotationsprinzip für Abgeordnete und der Zwangsabgabe von Diäten anfing und bei Cem Özdemirs Bonusmeilenaffären endete.

Was aber war der Preis dafür, dass die radikalen Ökologen nach Fischers Coup die Partei verließen und die radikalen Pazifisten ihnen spätestens nach der deutsche Teilnahme am Kosovo-Krieg folgten? Die Umweltpolitik wurde Teil des üblichen politischen Kuhhandels: Ich stimme deiner Reform zu, aber nur, wenn du sie möglichst verwässerst und mir dafür den Ministerposten in meinem Lieblingsressort gibst - dafür stimmst du das nächste Mal meiner Reform zu, die ich ebenfalls verwässern werde, aber so, dass es keiner merkt und alle meinen Eifer loben; letztendlich sind wir doch alle Menschen und können zusammen einen Rotwein trinken gehen... Dass ist herzerwärmend, führt aber am Ende dazu, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie verkündet, während man in Wirklichkeit eine Bestandsgarantie für den weiteren Betrieb von Atomkraftwerken abgegeben hat. Oder vom Umbau des Agrarsystems schwafelt, während in Wirklichkeit der 1000-Hektar-Betrieb zur Norm wird (Motto: „ein Dorf, ein Bauer“) und jedes Jahr - auch während der Zeit der rotgrünen Regierung - weitere Bundesmittel für die habitatzerstörende „Flurbereinigung“ ausgegeben werden. Oder von der Industrie das Drei-Liter-Auto fordert, während man selbst zu Dienstwagen mit immer stärkeren Motoren greift. Oder Biogasanlagen steuerlich fördert, deren Beschickung mit Mais zu Monokulturen, Bodenerosion und Pestizideinsatz in ungekanntem Ausmaß führt. Oder, oder, oder.

Der neueste Schlager in dieser Hitparade der Ersatzbefriedigungen heißt „Biotreibstoff“. Die Bauern sollen, wie Renate Künast das einst so wortgewandt formulierte. zu Ölscheichs werden, und unsere Blechschleudern sollen mit Rapsöl oder malaysischem Palmenschnaps laufen, damit ein bisschen weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt und ja alles so weitergehen kann wie bisher. Kein Gedanke mehr daran, dass das Problem nicht der Treibstoff ist (der Gott sei Dank irgendwann zu Ende gehen wird), sondern unsere „Mobilitätskultur“, die auf der Grundannahme basiert, dass jeder Mensch das Recht habe, in 50 Kilometer Entfernung von seiner Arbeitsstelle zu wohnen, jedes Jahr drei Mal in den Urlaub zu fliegen und im Januar neuseeländische Erdbeeren zu essen. Ebenso setzt man alle Hoffnungen in das technische Luftschloss „Kohlendioxid-Sequestrierung“ für Kohlekraftwerke, um ja nicht der Gefahr ins Auge sehen zu müssen, dass das Zeitalter der elektrobetriebenen Küchenmixer kürzer sein könnte, als Thomas Edison sich das vorgestellt hatte.

Es hilft nichts - wir kommen um einer neue Diskussion von Grundsatzfragen und eine neue Radikalität bei deren Beantwortung nicht herum. Wenn die Klimawissenschaftler Recht haben, beginnt der Planet sich langsam gegen uns zu wehren, und der aktuelle Biotreibstoffboom könnte in wenigen Jahren auch noch die letzten Waldgebiete des Planeten zu reinen Rohstofflieferanten unserer Kohlenwasserstoffmaschinen degradieren. Wieviel Zeit wird uns bleiben, um das Schlimmste noch abzuwehren, wenigstens einen Teil des großen Artensterbens zu verhindern und das Ende der Industriekultur so wenig abrupt wie möglich zu gestalten? Vermutlich nicht allzu viel. Reden wir also wieder über die Überbevölkerung. Über die drohenden Rohstoffkriege. Über das Ende des Ölzeitalters. Über die Vergewaltigung unseres Bodens durch die konventionelle Landwirtschaft. Über den Irrsinn des globalen Flugverkehrs. Über unsere heile Kleinbürgerwelt mit ihren Einfamilienhäusern und Rasenwüsten, die unsere Landschaft zerstört hat. Über die neoliberalen Dünnbrettbohrer, die die öffenliche Rede über Wirtschaftsfragen im Würgegriff der kurzfristigen Gewinnmaximierung halten. Über Opfer, Mühen und Einschränkungen, die uns bevorstehen.

Es ist Zeit, dass die radikalen Lebens- und Naturschützer aus ihren kleinen Nischen und Permakultur-Schrebergärten wieder herauskommen und sich um die Res publica kümmern. Auf die Grünen ist nicht mehr zu hoffen, die Volksparteien sind ohnehin industriefixiert, und die Globalisierungsgegner haben noch nicht begriffen, das eine weltweit gerechte Verteilung der Mittel und Ressourcen bedeutet, dass wir alle bescheiden werden müssen - und zwar mehr, als uns lieb sein wird. Das ist kein dankbarer Job, weil niemand gerne dem Blues vom Verzicht und von der Mühsal zuhört. Aber irgendwann und irgendwo muss man ja mal anfangen.