Dienstag, 6. März 2007

Der Teufel dreht den Hahn ab, Beelzebub heizt ein

Die Welt in der Klemme zwischen abnehmenden Ölreserven und globaler Erwärmung


Zwei Nachrichten verbreiteten sich Ende vergangener Woche über die weltweiten Medienkanäle, die man in einigen Jahren vermutlich mit Fug und Recht als historisch bezeichnen wird: Zum einen veröffentlichte – unter größter Anteilnahme der Öffentlichkeit – der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen der Klimaänderung (IPCC) seinen lange erwarteten vierten Bericht über den aktuellen Wissensstand bezüglich des menschengemachten Treibhauseffekt. Die neuen Daten sind um einiges pessimistischer als die des letzten IPCC-Berichts von 2001, und es scheint, dass wir uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine globale Erwärmung von um die 3 Grad Celsius und einen Anstieg des Meeresspiegels von etwa einem halben Meter einzustellen haben.

Einige Wissenschaftler, wie James Lovelock, der Erfinder der „Gaia-Hypothese“, gehen sogar noch weiter und phrophezeien ein bald bevorstehendes, sprunghaftes Hochdrehen der irdischen Klimamaschine durch Rückkopplungseffekte wie die Freisetzung des im arktischen Permafrostboden gebundenen Methans und das Abschmelzen des arktischen Eises. Nach dem daraus folgenden, katastrophischen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter wären nur noch die subarktischen und kühlen Zonen für Menschen bewohnbar, und wir müssten mit einem ungeheueren, nicht vorstellbaren Massensterben rechnen.

Mit wesentlich weniger Echo in den konventionellen Medien, dafür umso größerem Widerhall in der Blogosphäre, verkündete der texanische Öl-Investmentbanker und Branchenguru Matthew Simmons in einem Beitrag für den Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg (Video auf Youtube verfügbar), dass die Welt offenbar das von vielen Geologen vorhergesagte absolute Fördermaximum für konventionelles Öl bereits erreicht hat. Die höchste jemals erzielte Produktionszahl waren gut 74 Megabarrel pro Tag im Mai 2005, seitdem tändelt die Förderhöhe um 73,5 Gigabarrell herum, obwohl weder eine Wirtschaftskrise noch ein größerer militärischer Konflikt oder Terroranschlag für das fehlende Wachstum verantwortlich gemacht werden können.

Falls Simmons (und andere „Peak Oilers“ wie Kenneth S. Deffeyes oder Colin Campell) recht haben, hat das weiterhin zu erwartende Absinken der Fördermenge gravierendste Folgen für die Zukunft der Industriegesellschaft: Es gibt keinen Bereich unseres täglichen Lebens, in dem wir nicht in irgendeiner Form Erdölderivate nutzen, seien es die Plastiktüte an der Supermarktkasse, der Tiger im Tank, die Pillen gegen Bluthochdruck oder die Pestizide, mit denen konventionell angebauter Feldsalat von Käfern und Läusen befreit wird. Eine Verknappung des Angebots wird mittelfristig notwendigerweise zu einer massiven Erhöhung der Preise führen, und am Ende droht womöglich weit Schlimmeres als nur Heizölrationierungen und autofreie Sonntage.

Zunächst scheint es, als ob die zweite Nachricht im Vergleich zu den deprimierenden Aussichten der ersten vergleichsweise lindernde Wirkung hat: Wenn wir weniger Öl verbrennen können, gelangt weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre, und der Treibhauseffekt wird gebremst. Wunderbar...! – Unglücklicherweise ist Öl in Wirklichkeit nicht etwa ein wertneutraler „Rohstoff“, sondern die härteste aller Drogen, und Junkies pflegen in der Regel keine durchdachten und weitblickenden Entscheidungen zu treffen. Eher ist eine Reaktion zu erwarten, die auf der gewohnten, rein marktwirtschaftlichen Logik basiert: Wenn konventionelles Öl teuer wird, lohnt es sich zunehmend, unkonventionelle Vorkommen wie Ölschiefer, Ölsande, Tiefseeöl oder Schwerstöl auszubeuten bzw. Biosprit aus Rapsöl, Palmöl, Zuckerrohr oder sonstiger Biomasse zu gewinnen oder sogar an die im „Dritten Reich“ erstmals großindustriell genutzte Technik der Kohleverflüssigung anzuknüpfen, um einen reibungslosen weiteren Betrieb der Familienkutschen, Sportwägelchen und Brummis dieser Welt zu gewährleisten. Wie wahrscheinlich ist es, dass stattdessen alle Welt nur noch Zug fährt und Güter im Wesentlichen von Binnenschiffen transportiert werden? Die Antwort wissen Sie selbst.

Wenn wir aber dieser marktwirtschaftlichen Beelzebub-Logik folgen, werden Kyoto- und sonstige Protokolle endgültig zur Lachnummer: Für die Umwandlung von Ölsanden in synthetische Kohlenwasserstoffe beispielsweise sind enorme Mengen an Wasser und Hitze erforderlich, die etwa bei den Vorkommen in der kanadische Provinz Alberta aus den örtlichen Trinkwasservorräten und Erdgasquellen gewonnen werden. Die vier Barrel Abwässer pro Barrel gewonnenem Treibstoff verseuchen die borealen Ökosysteme, aber noch weitaus schlimmer sind die 90 bis 160 Kilogramm Kohlendioxid, die beim Produktionsprozess pro Tonne anfallen – noch zusätzlich zu den 400 Kilogramm Treibhausgas, die bei der Verbrennung des Treibstoffs ohnehin entstehen! Bei der Kohleverflüssigung sieht es noch düsterer aus: Pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs sind zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich, und die zweite Tonne endet letzlich ohne weiteren Nutzen als „Extra-Kohlendioxid“. Je mehr Öl wir aus qualitativ minderwertigen Ausgangsstoffen oder durch synthetische Prozesse erzeugen, desto mehr zusätzliches Treibhausgas fällt dabei an.

Sie bezweifeln, dass man im großen Maßstab auf derartige vorsintflutliche Dreckschleuder-Techniken zurückgreifen wird? Man ist längst dabei. Der südafrikanische Sasol-Konzern, der in den langen Jahrzehnten der Apartheid durch Kohlehydrierungsanlagen nach Nazi-Vorbild für eine verlässliche Kraftstoffversorgung des Burenstaats sorgte, wird in diesem Jahr zwei Pilotanlagen in China errichten, außerdem gibt es entsprechende Planungen für den US-Bundesstaat Montana und für Indien. In Venezuela und Kanada ist man derweil mit Volldampf dabei, die Ausbeutung der Schweröl- und Ölsandvorkommen anzugehen. Kanada hat wegen der Ölsandgewinnung nicht nur seine Kyoto-Reduzierungsziele nicht erreicht, die nationale Kohlendioxidemissionen sind sogar seit 1990 um 27 % gestiegen!

Und vergessen wir nicht die Stromerzeugung: In den USA gibt es bereits Planungen, die Kraftwerke, die dort hauptsächlich mit Erdgas betrieben werden, wegen der hohen Preise (der Hauptlieferant Kanada hat Lieferprobleme wegen des steigenden Eigenbedarfs, siehe oben, Ölsande) wieder auf Kohle umzurüsten. Und in China werden ungefähr ein bis zwei kleine, regionale Kohlekraftwerke pro Woche gebaut, um mit Uralttechnik den steigenden Stromhunger der Fabriken, aus denen unsere billigen Haartrockner stammen, zu befriedigen. Sogar in Deutschland gibt es konkrete neue Projekte für die Klimaanheizer, beispielsweise in Hamburg und Bremen. Ob man das von diesen Kraftwerken erzeugte Kohlendioxid jemals per „Sequestrierung“ unteriridisch speichern können wird, steht vollkommen in den Sternen – ganz davon abgesehen, dass wir damit neben der Endlagerung des Atommülls eine weitere Wette auf die ferne Zukunft eingehen würden, deren Ausgang vollkommen unsicher ist. Wer weiß denn, ob das Treibhausgas nicht innerhalb langer Zeiträume aus den Speichern wieder ausdiffundiert und seine Klimawirkung locker bis ins nächste Jahrtausend hinein fortsetzt?

Auch das Potenzial von Biotreibstoffen wird weit überschätzt: Zunächst einmal muss auch für die Herstellung eines Liters Biodiesel über ein halber Liter Treibstoff zusätzlich verbrannt werden und erzeugt weiterhin Kohlendioxid, das nicht vorher in der Biomasse gespeichert wurde. Außerdem ließen sich ohnehin nur wenige Prozent unseres Verbrauchs an flüssigen Kohlenwasserstoffen durch Energiepflanzen ersetzen, weil der Wirkungsgrad der Umsetzung von Sonnenenergie über Pflanzenzucker in synthetische Kohlenwasserstoffe (der Erntefaktor“) außerhalb der Tropen extrem gering ist und auf der ohnehin überbevölkerten Erde bei weitem nicht genügend Anbauflächen vorhanden sind, auf denen man Energiepflanzen ziehen könnte, ohne die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Auch auf diesem Weg sind wir schon weiter, als die meisten von uns ahnen: Letzten Monat kam es Mexiko zu den sogenannten „Tortilla-Unruhen“, die von vielen deutschen Medien mit der üblichen Überheblichkeit unter der Rubrik Sombrero-Folklore abgehandelt wurden, dabei handelte es sich in Wirklich um eine Reaktion auf die zunehmende Produktion von Äthanol aus Mais. Seit der Einrichtung der Freihandelszone NAFTA ist Mexiko abhängig von US-amerikanischen Maisimporten (die hochsubventionierten Yanqui-Farmer produzieren billiger als mexikanische Kleinbauern), derzeit gehen aber bereits ein Fünftel der Maisernte in den Staaten in die Äthanolproduktion, sodass bei verknapptem Angebot selbstverständlich die Preise steigen und die Leute aus den Barrios sich kein Maismehl mehr leisten können. Da gleichzeitig auch noch Cantarell, das vor der mexikanischen Küste liegende größte Offshore-Ölfeld, der Welt, statt des für 2006 vorhergesagten Förderrückgangs von sechs Prozent eine tatsächliche Abnahme um satte 25 Prozent zeigte und die mexikanische Öleinnahmen hauptsächlich zur Finanzierung des Staatshaushalts verwendet werden, dürfte hier in Kürze nach Argentinien der nächste Zusammenbruch einer Volkswirtschaft zu erwarten sein.

Derzeit beherrscht der Klimawandel die Schlagzeilen. Wenn wir es ernst meinen mit seiner Bekämpfung, müssen wir uns gleichzeitig um den Rückgang der fossilen Rohstoffe kümmern und endlich einsehen, dass unsere Industriegesellschaft in ihrer derzeiten Form nicht mehr zu retten ist. Wir müssen weltweit hin zu kleinräumigen Siedlungsstrukturen, regionalen Wirtschaftkreisläufen, funktionsfähigen künstlichen Ökosystemen zur Nahrungsmittelerzeugung, einem drastisch reduzierten Energieverbrauch und einem Rückgang der Bevölkerungszahl. Gelingt uns dies nicht, geraten wir immer weiter in die Klemme aus abnehmender Ölförderung und Treibhauseffekt, aus der uns irgendwann nur noch ein globaler Kollaps befreien wird.



(Dieser Post erschien auch unter dem Titel "Die Welt in der Klemme" leicht redaktionell verändert in der Readers Edition.)